Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Landrat. 1949 rief er aus in öffentlicher Versammlung: »Wer noch einmal das Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen.« Seit 1957 leugnet er, das sei je aus seinem Mund gekommen. Da war er Minister für die Verteidigung Westdeutschlands. Als im April 1957 achtzehn Wissenschaftler aus Göttingen davor warnten, die Bundeswehr mit atomaren Waffen auszustatten, nannte er einen von ihnen einen »weltfremden Menschen«; er selbst hat das Abitur. Den Professor der Physik und Träger des Nobelpreises Otto Hahn beschrieb er im Presseklub der Hauptstadt als »einen alten Trottel, der die Tränen nicht halten und nachts nicht schlafen kann, wenn er an Hiroshima denkt«. Im Juni 1957 ertranken fünfzehn Rekruten in der Iller bei einer Übung, für die sie zu wenig ausgebildet waren; der verantwortliche Minister, statt zurückzutreten, begeht am nächsten Tag seine Heirat, befiehlt sich einen fast kriegsstarken Zug von Feldjägern mit Stahlhelmen und weißem Lederzeug als Eskorte. Bleibt der Trauerfeier für die Opfer fern. Im selben Jahr sein Ausspruch: er sei zwar kein Wehrdienstverweigerer, aber trotzdem kein Feigling. Im folgenden Jahr verschafft er der westdeutschen Republik einen nationalen Helden: der Verkehrspolizist Siegfried Hahlbohm tat am 29. April 1958 Dienst an der Kreuzung vor dem Bundeskanzleramt zu Bonn, als die Karosse des Ministers drüber rollte, gegen das Handzeichen des Ordners, so daß eine Straßenbahn unverhofft bremsen mußte. Hahlbohm zeigte den Fahrer des Ministers (fünfmal vorbestraft) an nach vier Paragraphen der Straßenverkehrsordnung und nach zweien des Strafgesetzbuches: Transportgefährdung. Der Minister verspricht, diesen Mann von der Kreuzung verschwinden zu lassen; als sein Bemühen aufkommt, spricht er von »Geheimnisverrat«. Im Oktober 1959 gab es ein Treffen »organisierter Ritterkreuzträger« in Regensburg; der Minister schickte ihnen mit Grüßen und Musik drei Bundesoffiziere. 1961 verunglimpfte er einen politischen Gegner, einen Emigranten so: »Aber eines wird man doch fragen dürfen: Was haben Sie in den zwölf Jahren draußen gemacht, wie man uns gefragt hat, was habt ihr in den zwölf Jahren drinnen gemacht.« Das las ich schon in New York, erleichtert, aus der Reichweite des Herrn Ministers zu sein. Im Jahr darauf verleiht er seinen Offizieren einen »Gesellschaftsanzug« mit Fangschnur; der wohl erinnerlichen Affenschaukel; verordnet den Mannschaften ein Koppel mit Schloß, darauf steht: Einigkeit und Recht und Freiheit. Danach versuchte er ein westdeutsches Nachrichtenmagazin zu zerschlagen, dessen Redakteure sein finanzielles und amtliches Treiben gewissenhaft betrachtet hatten; mit Denunziation, mit Lüge. Vor dem westdeutschen Bundestag bekannte er sich bewußt zur Unwahrheit: »Es ist kein Racheakt meinerseits. Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Im wahrsten Sinne nichts zu tun!« Danach mußte er ein wenig ausscheiden; seit 1966 ist er einer westdeutschen Regierung wieder gut genug als ein Finanzminister. Der kann keinen Jagdschein erwerben, ohne daß es abginge mit Schummelei. Der Mann möchte Kanzler von Westdeutschland werden und Atomwaffen unter den Druckknopf bekommen; von dem ist im Bundestag gesagt worden: Wer so spricht wie der Herr Bundesverteidigungsminister, der schießt auch.
– Es sind bloß schlechte Manieren, Gesine.
– Hätt ich je Heimweh nach der westdeutschen Politik, ein Bild hängt ich mir auf von dem.
– Der kriegt keinen Namen?
– Der verdient den Namen, den er sich macht.
– Jetzt sind wir im März 1961, unterwegs nach NYC . New York City!
– Weil die Angestellte Cresspahl sich gefügig gezeigt hatte, bekam sie erst noch vier Wochen Urlaub. Da hüteten wir ein bei Anita in Berlin.
– Wo man so aufpassen muß beim Reden. Kaufst eine lange lange Wurst, schon fragen sie dich, ob du für eine vielköpfige Familie sorgst. War ich stolz auf meine Mutter, als sie zurückschoß: Will eine Einsiedlerei gründen! Berlin die Stadt der Flugzeuge.
– Flugzeuge über dem klirrenden Glasdach. Passen sich in Ruinenlücken zwischen den Dächern, scheren Firste, fügen sich zu Kirchturm, Hochhaus, Regen. In Gärten, Sportstadien, Parks, Straßen, Balkons, überall blickten Flugzeuge herab, verzogen sich, schickten andere. Unsichtbar hoch aber weitsichtig zwängten die Düsenjäger der Roten, der Schönen, der Krasnaja Armija sich durch die Schallbarriere und warfen den boxenden, schüttelnden, atemstockenden Knall ab. Als wir
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