Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

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Autoren: Uwe Johsohn

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schlimme Tugend, Gesine. Daughters have human feelings, too.
    – Right. Entbehrlich war ich auch. Wenn die See- und Handelsstadt Wismar 1954 ein Alter von siebenhundertfünfundzwanzig Jahren begeht, kann sie das ab ohne Gäste aus Je-, aus der Gegend von Rhein und Main. Ihr reicht die Festschrift, weil ihr Vater sie übersendet, ein dickes Heft auf Kunstdruckpapier mit viel berichtigter Geschichte, H. O.-Anzeigen zum Ruhm des Neuen Kursus und dem Schnack, für mecklenburgische Volksweisheit ausgegeben, daß ein Mensch im Alter, vom Wohnungsamt im Stich gelassen, zu seinen Enkelkindern zieht.
    – 1954 wurdest du … wurdest du volljährig, Gesine.
    – Einundzwanzig Jahre. Und bekam durch Johnny Schlegels Anwalt in Westberlin, im Auftrage von Dr. Werner Jansen, RA zu Gneez/Meckl. aus einer letztwilligen Verfügung von Dr. Avenarius Kollmorgen ein versiegeltes Päckchen übersandt.
    – Wehe, wenn du mir verschweigst was drin war!
    – Tät ich gerne.
    – Mußt du sagen.
    – Weil es ein Paar goldener Ringe waren. »Zu Ihrer Mündigkeit, sehr verehrtes Fräulein Cresspahl, Ihnen zu Füßen zu legen erlaubt sich.« »Da ich selbst, infolge Begegnens widriger Umstände.« »Zu jedweder ehelicher Verbindung, sie sei nur gewählt, Sie meiner Ergebung.« Mit Kollmorgen ist eine Art zu sprechen ausgestorben.
    – Trauringe. Aus dem Grab.
    – Das sind … die für dich. Deine.
    – Als ob ich je heiraten würde, Gesine!
    – Das haben wir auch von mir gesagt. Behalte das im Auge.
    – Kein Gedanke an eine Rückkehr nach Jerichow oder Halle/Saale.
    – Dagegen gab es das Radio. »Die Sowjetunion hat das Penicillin erfunden.« Einmal sagte da einer einen Musiktitel an mit dem Seufzer: »
Ein
Amerikaner in Paris – ach, wär das schön!« Verfehlte vor lauter Brillanz in der Agitation die Umkehrung: wie wünschenswert es sei, nur
einen
Sowjetmenschen in der ostdeutschen Republik zu wissen, und den zu Ferien an der Ostsee bei Ahlbeck. Als ob sie gehofft hätten, auf Wellenlängen zu siegen! Als ob sie sich zutrauten, den Himmel zu teilen.
    – Für welche Partei warst du im westlichen Deutschland, Gesine? Durftest doch wählen.
    – Die Sozialdemokraten erklärten 1954 in Berlin ihren Willen, auf einem Parteitag! unter »Bedingungen an gemeinsamen Anstrengungen zur Sicherung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit auch mit militärischen Maßnahmen teilzunehmen«.
    – Wie ich dich kenne, war daraufhin der Ofen aus bei dir.
    – Sieh an, du kennst mich. Der Staatspräsident war ein Freidemokrat, der hatte 1933 Hitler abstützen helfen mit dem Ermächtigungsgesetz, das die Republik von Weimar um die Ecke brachte. Nun empfahl er seinen Bürgern, die Vergangenheit »zu bewältigen«, und da das keine Arbeit war oder ein Stoff –
    – To accomplish. To master.
    – blieben nur die Tätigkeitsworte besiegen und unterwerfen übrig. Enthielt sich öffentlichen Bewältigens für seine Person. Der Kanzler war von den Christdemokraten, was für ein Ausdruck, und hielt sich ein Hündchen, das durfte im Bundestag jedesmal »Sehr richtig!« rufen, wenn er von einer »Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit« redete, so am 17. Juni. Mit der anderen Hand aber zog er seine Republik hinein in wirtschaftliche Verkettung mit einer Montan-Union und band sie fest in einem militärischen Verein, der war benannt nach dem Nordatlantik. Auf den gab es ein nationales Lied, Erstaufführung am 16. Mai 1950 in München.
    – Gesine, wenn ich doch weniger schüchtern wär.
    – Hier haben wir ein Kind, das geniert sich für seine Mutter auf einer spärlich besetzten Fähre, da kennt sie von den Ausflüglern Niemanden.
    – O. K. Wenn es da Partien zum Mitsingen gibt, ich übernehm die zweite Stimme.
    – Get to your marks – Get set – GO : »Oh mein Papa / war eine wunderbare Clown / oh mein Papa / war eine große Kinstler! / Oh mein Papa / Wie war er prächtig anzuschaun –«
    – Staatsverleumdung. Strafbar.
    – Zuverlässig in Ostdeutschland. Im Westen, wer immer das sang mit Andacht und unter Tränen, ihm war unbewußt, für wen er da betete.
    – Gesine, das sollte deine Heimat werden!
    – Die Schülerin Cresspahl versuchte es, seit sie als Angestellte lebte in Düsseldorf, in einem möblierten Zimmer am Postamt Flingern-Nord, bei einer Witwe, die für ihre kommunistische Ortsgruppe die Kassiererin machte und es mürrisch anfing mit einer Untermieterin, die hatte auf ihre Parteifreunde im Ostdeutschen verzichtet;