Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
verbot Herrenbesuch. Das enterbte Kind suchte keine Herren; sie teilte ihre Abende auf zwischen dem Zentralbad in der Grünstraße und der Landesbibliothek am Grabbe-Platz, wo die Leute fürsorglich waren zu einer Kundin, die bestellt einen Jahrgang Zeitungen nach dem anderen. Las die entgangene Zeit nach, seit 1929. Lesen, lesen; wie nach einer tückischen Krankheit. Hielt Düsseldorf für eine Endstation; versuchte sich zu gewöhnen an die glatten, durchgehenden Fassaden. Hielt Groschen bereit am 10. November, wenn die Kinder Laterne gingen für den Heiligen Martin; wünschte dennoch am nächsten Tag sich aus der Stadt, da begann der Karneval. Ging den Radschlägern aus dem Weg. Las tapfer nach über Jan Wellem und Immermann, begann eine Sammlung mit dem Führer »Willkommen im Neuen Heim«; Düsseldorf um die Jahrhundertwende. Ging zu Fuß nach Kaiserswerth; fand eine Ahnung von Jerichow an einem ochsenblutrot gestrichenen Schuppen, Ausspannung eines Gasthofs in verrottetem Garten. Sah sie in einer Wirtschaft ein Meisterdiplom hängen mit dem Hakenkreuz im Amtssiegel, überklebte sie es klammheimlich mit einer Briefmarke, die zeigte immerhin den Kopf des Staatsverräters, der hierzulande Staatspräsident war.
Haben Sie das gesehen, wie der den Kellner fertig gemacht hat? hat jetzt ’n Fotogeschäft. Wenn wir den Krieg gewonnen hätten, wär der fein raus. Hat 64 Panzer abgeschossen, der Mann. Einmal zehn mit vierzehn Granaten, da hat er ’n ganzn Kessel aufgebrochen. Hat das Ritterkreuz, sie haben ihm auch Land im Böhmischen geschenkt. Hat sie einfach rankommen lassen, die abgeschossenen schon als Deckung benutzt. Sein Richtkanonier, der drehte durch. Wolln mal sagen, Wut war das, kein Mut. Is ’n netter Kerl, gar nich eingebildet. Sie sind so still, Fräulein Cresspahl?
Bei solchen Reden kriege ich keinen Bissen runter; selbst wenn ich hungrig wär. Mit Dank für die Einladung. Ich muß jetzt gehen.
Eine Heimat ist Düsseldorf geworden, seit es da für den Namen Cresspahl die Tür einer abschließbaren Wohnung gab, ein separates Telefon. Die vereinigten britischen und amerikanischen Militärs, für die eine Angestellte in einem Wald bei Mönchengladbach mit deutschen Landräten verhandelte über die Abschätzung von Manöverschäden, die wünschten sie sicher aufgehoben, erreichbar. Bloß ein ausgebauter Dachboden, ein weitläufiges Zimmer mit Kammer und Küche; alle Fenster gegen den Himmel. Düsseldorf-Bilk, das war meine Gegend, in einer Kneifzange aus Lärm auf Schienen, von Straßenbahn und der Strecke nach Krefeld und Köln. Bei Alt St. Martin; täglicher Anblick die Tafel zur Erinnerung an » DIE IN DER NACHT VOM 11. ZUM 12. JUNI 1943 UNTERGEGANGENE BILKER STERNWARTE «; auf Mittelachse geordnet. In einem Haus, das wies über seinen Fenstern Brauen und zwei Mittelbalkons; wahrhaftig geknickte Augenbrauen. Da gab es kleine Parks, Trinkhallen, zum Spazierengehen den Südfriedhof; wenig Straßen nördlich das Stadtbad in der Konkordia-Straße. Was der Wohnung noch fehlte, als Jakob nach Düsseldorf kam, hat er verputzt, angeschraubt, verklebt, lackiert. Für Jakob leistete ich mir eine gelbseidene Bluse mit locker hängendem Kragen, langen Schleifen, obgleich ich wußte: es ist an ihn verschwendet; der sieht mir ins Gesicht.
– Erst mußt doch du zu Besuch gehen nach Jerichow!
– Wer sagt dir … das sagt Einer mir bloß nach, ich sei auf einer Dienstfahrt über die ostdeutsche Transitstrecke nach Berlin ausgestiegen, gegen ein Verbot, und durch die Wälder geschlichen nach Jerichow. Weil du es bist, dir gebe ich es zu. Schlecht ist es mir bekommen. In eine Nachbarschaft geriet ich, vor der wollte Jakob mich bewahren. Das war ein Herr Rohlfs, der wünschte mit mir Jakob zu bereden; hatte auch mich in den Akten, von Gneez bis zum Grunewald und dem bei Mönchengladbach. Wie schäme ich mich, wie sicher ein jeder wir Jakobs waren!
– Wie gefiel es meinem Vater in Düsseldorf im Westen?
– Schnuppe war es ihm. Der wollte wissen, ob ich meine acht Stunden Schlaf auch nehm für jede Nacht, ließ sich meinen Weg zum Arbeitsbus führen, fragte nach meinem letzten Termin beim Zahnarzt. Einen Shawl brachte er mir an aus Mecklenburg! Wenn ich nach Hause kam bei Alt St. Martin in Bilk, hatte Jakob mir Wurst gebacken à la Jerichow; ein Mann kann braten mit Blut und Mehl, Rosinen, Majoran, Thymian und Apfelscheiben, damit seine Gesine einmal noch ißt wie zu Hause! Wenn er sich auskannte in
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