Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
ängstlich vor einem Jungen, der bloß kräftiger war. Er hatte wohl gedroht mit Hausanzünden. Das war das einzige Mal, da sorgte Jakob dafür, daß der Gast ein wenig hinfiel, mit dem Gesicht auf die scharfe Schwelle der hinteren Tür. Denn sie hatte ihn nicht einmal in der Kommandantur abgeben mögen, zu Gericht und Urteil, sie war obendrein zu feige gewesen; überdies stand auf der Seite des Hauses noch der Kavalier aus der Tanzstunde. Der Älteste aus dem Stamme Papenbrock war langsam quer über die Felder nach Südwesten gegangen, würdig spazierend, bis Jakob auf ihr dringendes Bitten ihm einen Stein hinterherwarf. So friedensmäßig die aufgeschossene grüne Saat, so friedlich das niedrige Sonnenlicht. Der Stein traf dann nicht mehr richtig, bloß auf die linke Niere.
Zu allem hatten die Absens ja gesagt, bis Mitternacht. Denn vorher war sie ja nicht zu Rande gekommen mit ihren Erzählungen aus dem Leben Robert Papenbrocks, von der Fahnenflucht im Ersten Weltkrieg über den ganzen Atlantik bis zu der Tatsache, daß er an diesem Küchentisch gesessen hatte. Sie kam reichlich durcheinander von der eigenen Heftigkeit: Cresspahl hatte ihm nicht gleich das Hinauswerfen versprochen, da standen da noch Holunder, da war aber Stacheldraht drin, vorher hatte er noch Lisbeth vor Gericht gebracht, dat wier min Varres Fru, dieser Parteiredner, in Amerika hatte er Nazis angeworben, ganze Dörfer verbrannt, der Sonderführer S. S. in der Ukraine, sogar Slata hatte er verschleppt und war schuld an ihrer Verhaftung, Voss in Rande mit Stahlruten totgepeitscht, nein, da muß ich Cresspahl fragen! – Ja: sagte Frau Abs. – Ick harr dat nich anners måkt: sagte Jakob. – Ja.
Einen Abend lang hatte es vorgehalten. Dann wachte sie auf mit dem eisigen Zweifel, gegen den kein Einfall verfing.
Angst brauchte sie keine zu behalten vor dieser Verwandtschaft. Das Haus zündete er nicht an. Er war zu eilig. Deswegen geriet er am Dassower See in eine Postenlinie der Roten Armee und mußte ein paar Stunden lang schwimmen mit einer beträchtlichen Fleischwunde in einem seiner fetten Beine. In seinem Brief von jenseits der Zonengrenze, aus Lübeck, nannte er sich »zum Krüppel geschossen«, und die feinbürgerliche Erziehung im Hause Papenbrock bewies er mit dem feierlichen Nachsatz: Somit enterbe ich dich denn.
Vielleicht war es richtig gewesen. Aber sie hatte verhindert, daß dieser Mensch seine Mutter noch einmal sah. Gewiß, er hatte nicht versucht, sie zu treffen, wollte Jerichow lieber durch eine Hintertür betreten. Gewiß. Sie war im Recht gewesen. Dagegen ließen sich andere Gründe wenden. Wie immer Cresspahl entscheiden würde, sie mußte die erste sein, von der er es hörte. R. P. R. I. P.
Aber Cresspahl schickte keine Nachricht, kam nicht, war in »Sibirien« oder tot. Seine Tochter war gut vorbereitet auf den Mann, der mit ihm im Gefängnis gewesen war, die Frau, der er Grüße für ein Haus in Jerichow zugerufen hatte. Für die trug sie im Mantel wie in Kleidertaschen Schreibpapier und einen Umschlag mit sich. Ihr würde dann schon einfallen, was sie ihm als erstes, als Wichtigstes ausrichten mußte.
3. Juli, 1968 Mittwoch
Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hat den U. S. A. das Flugzeug zurückerstattet, das sie am Sonntag zum Landen auf den Kurilen zwang, samt Besatzung, samt Soldaten. Das Weiße Haus hat sich ein wenig entschuldigt für einen Fehler beim Navigieren. Die große friedliebende Sowjetunion hat den Soldaten des Imperialismus noch rote Blechdosen mit Zigaretten aus eigener Produktion geschenkt, bevor sie die Spezialisten in der Tötung weiterschickte zu den Vietnamesen. Nicht einmal drei Tage gingen verloren, da standen die 214 Killer schon an der Front gegen die Verbündeten, die Herzensfreunde eines sowjetischen Bürgers.
Ein gelernter, ein bereitwilliger Kommunist würde hier flugs sprechen können von Kunst der Diplomatie, von einer Rettung der Verhandlungen über wechselseitige Abrüstung; Kinder aus meiner Klasse nähmen das als Teil ihres Berufs. Da kann ich nicht mit. Mit Gewalt ja, auch mit Vernunft, nicht im Traum! Da bin ich ein Ehrenbürger von Sseidamono.
Cydamonoe, die Marie von heute will es kaum noch wahrhaben.
Gefunden hat es die andere, das Kind vom April und Sommer 1961, das unter seinem Kapotthut hervor sehr vorsichtig die Stadt New York betrachtete. Das war eine, deren Hand in meiner Hand wuchs in den Klammergriff, wenn eine knallende Reihe aus Eisenkästen
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