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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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auf uns zukam unter der Erde und war ein rollendes Gefängnis mit gefährlichen Rolltüren und wurde erst langsam die Subway und ein Eigentum. Dreieinhalb war Marie, vier im Juli, und setzte ihre Schritte im Bogen um die Abfälle wie die Leute auf dem Broadway. Sie bestand darauf, den Fremden sich zu zeigen in Kleidern, in Kostümen; Hosen, Jeans gar, galten ihr ein Anzug für die Wohnung und wurden schicklich wenigstens für den Riverside Park, als sie die Zumutung ansehen mochte von der Seite der Sparsamkeit. Und auch vor dem Wetter in dieser Stadt, der schweißpressenden Schwüle, die sogar die zurückhaltende Tante Times heute »unaussprechlich« nennt, und recht hat die Dame, und soll gewinnen an Würde durch die Andeutung des Fluchs! – vor dem Wetter New Yorks auch noch mag die Marie Angst gehabt haben, wenn sie abends auf dem Bett lag und sorgenvoll erwartete, was die unbegreifliche Stadt ihr schicken würde in den Schlaf. Gerade Angst aber soll es nun nicht gewesen sein, wie das bei einer Marie, die ewig und endlich eins ist mit ihrem Lebenslehen New York City! 1961 lag sie hinter den spaltbreit offenen Türen ihres Zimmers, unvorstellbar kurz, zum Unglauben dicklich, starrte an die »sichere« Stelle der Decke und sprach vor sich hin. Wenn es um Wegdrängen von Angst nicht gehen soll, so war es doch Cydamonoe.
    Sie sprach es angelsächsisch aus, mit scharfem S und dunkelbraun schaukelnden Vokalen; ein jeder Zuhörer hätte sie ästimieren müssen für eine Amerikanerin. (Das soll ihr heute dienen als ein Beweis des Gegenteils.)
    Immerhin, die vierjährige Marie wußte kaum ein schlimmeres Risiko im Umgang mit Kollegen, als ihnen Cydamonoe zu offenbaren. – Du fliegst dahin? sagte David Williams in jenem unvordenklichen Herbst, recht baff. Er stand mit ihr in einer wenig belebten Ecke des Spielplatzes, die Hände auf dem Rücken, ganz steif im Gesicht von der Meinung, dies ausländische Kind wolle ihn hereinlegen, den Gartenweg hinaufführen und was sonst dergleichen dem nicht zustand, einem Mädchen obendrein. Sie nickte so schüchtern, er verwandelte sich augenblicks aus einem Opfer in einen Experten, überlegen vor Männlichkeit. – Durch das Fensterglas –? faßte er nach, noch bereit, sie mit Gelächter zum Krüppel zu machen. Marie vertraute damals darauf, er werde das Geheimnis nicht brechen; einmal muß ein Mensch sich aussprechen, übrigens war es die Wahrheit: Ich kann es: verriet sie ihm. David sah sie an mit aufgerissenen Augen, auch er kannte an sich Fähigkeiten, die waren Niemandem bewußt als ihm. Er nickte ernst und sagte: Ach so. Das war allerdings eine Sache, die unter Kumpanen ein Vertrauen wert war. David Williams wurde ein Freund des Hauses Cresspahl.
    Mehr über Cydamonoe erfuhr vorerst nicht einmal die Mutter, bis zu einem Gewitterabend, an dem Marie die Abreise hinter ihre Vorhangtüren hinauszögern mußte so lange als möglich, als Mittel wußte sie nur das Erzählen. Die Worte traten ihr ganz rund aus dem Mund vor Dringlichkeit, deutsch, englisch, wie es kam. Sie sah mich nicht an, beschämt über ihren Verrat, und wäre mitten im Satz verstummt, hätte ich mein Gesicht gleiten lassen in den schwächlichsten Zweifel. Sie hielt ein Glas Saft in ihren feisten Händen, ihr war nach Trinken zumute, sie durfte nun nicht anhalten.
    Cydamonoe war ein Ort, nur durch die Luft zu erreichen. Die Reise begann in dem Moment, da es dunkel wird im Kopf und das Kind am ganzen Leibe sich schlafen weiß. Das Fluggerät war Kopf und Körper, selbstgesteuert, ohne »Stewardessens«. Die Flugdauer betrug soviel Zeit, als man braucht, um sich fliegen zu merken. Das Aufsetzen geschah in dem Moment, da die Sonne hinter der Erde hervorfährt in einem beflissenen Hochsprung, wie ein befreundetes Tier, und es ist hell.
    Cydamonoe war eine Kolonie für Kinder, ein Kinder-Garten, was das Wort doch sagen will, war eine Zeit als Entschädigung für den falschen Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen.
    Sobald Marie angekommen war in jener rundum umflossenen Gegend, ging sie frühsten. Denn diese Auskunft geriet ihr englisch, »brokling« war was sie tat und ist in der Sprache Cydamonoes das Wort für Bediene dich selbst.
    Die Kinder dort bedienten sich selbst, ob sie nun ein Frühstück nahmen oder ein Haus. Wer ein Haus brauchte, nahm sich eins, das leer stand. Es zu behalten war unnötig. Überdies galten alle Häuser für gleich angenehm.
    In Cydamonoe waren die Straßen als Rasenbahnen angelegt, und sie

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