Jahrmarkt der Eitelkeit
vor Ende der Nacht aber sah er sich genötigt, nachzugeben und wie gewöhnlich abermals die größere Klugheit und Vorsicht seiner Frau anzuerkennen. Ihre Ahnungen wegen der Folgen seines Fehlers bestätigten sich auf traurige Weise. Miss Crawley mußte wirklich etwas bewegt worden sein, als sie ihn nach einem so langen Bruch wiedersah und ihm die Hand drückte. Sie dachte lange Zeit über die Zusammenkunft nach. »Rawdon wird sehr dick und alt, Briggs«, bemerkte sie zu ihrer Gesellschafterin. »Seine Nase ist entsetzlich rot, und er sieht außerordentlich heruntergekommen aus. Seine Heirat mit diesem Frauenzimmer hat ihn hoffnungslos ordinär gemacht. Mrs. Bute sagte mir immer, daß sie beide trinken, und ich zweifle nicht daran, daß sie es wirklich tun. Ja, er hat ganz entsetzlich nach Gin gerochen. Ich habe es gemerkt. Sie nicht auch?«
Vergeblich wandte die Briggs ein, daß Mrs. Bute von jedermann schlecht sprach, und soweit ein Mensch in ihrer bescheidenen Stellung urteilen könne, so sei sie ein ...
»Ein gerissenes, ränkevolles Frauenzimmer, nicht wahr? Ja, das stimmt, und es stimmt auch, daß sie von jedermann schlecht spricht. Aber ich bin doch überzeugt, daß dieses Weib Rawdon zum Trinken verleitet hat. Alle diese gewöhnlichen Leute ...«
»Er war sehr ergriffen, als er Sie sah, Madame«, sagte die Gesellschafterin, »und ich bin überzeugt, wenn Sie bedenken, daß er sich nun in Gefahr begibt ...«
»Wieviel Geld hat er Ihnen versprochen, Briggs?« schrie die alte Jungfer, die sich in eine nervöse Wut hineinarbeitete, »da haben wir's wieder, natürlich fangen Sie jetzt an zu heulen. Ich hasse Szenen. Warum muß ich immer gequält werden? Gehen Sie in Ihr Zimmer und weinen Sie sich dort aus und schicken Sie mir die Firkin – oder nein, bleiben Sie da, setzen Sie sich und putzen Sie sich die Nase. Hören Sie auf zu heulen und schreiben Sie einen Brief an Hauptmann Crawley.«
Die arme Briggs setzte sich gehorsam an den Schreibblock. Die Blätter trugen noch Spuren der festen, energischen, schnellen Handschrift von dem letzten Amanuensis der alten Jungfer, von Mrs. Bute Crawley.
»Fangen Sie an: ›Mein sehr verehrter Herr‹ oder besser ›Verehrter Herr‹, und sagen Sie, Sie seien beauftragt von Mrs. Crawley – nein, von Miss Crawleys Arzt, Mr. Creamer, mitzuteilen, daß in meinem jetzigen Gesundheitszustand alle starken Gemütsbewegungen gefährlich seien – und daß ich deshalb jede Besprechung von Familienangelegenheiten und überhaupt jede Unterredung ablehnen müsse. Und danken Sie ihm, daß er nach Brighton gekommen ist und so weiter und bitten Sie ihn, meinetwegen nicht länger hier zu verweilen. Und, Miss Briggs, Sie können noch hinzufügen, daß ich ihm bon voyage 2 wünsche und daß er bei meinem Rechtsanwalt am Gray's Inn Square vorsprechen kann, wenn er sich die Mühe machen will, und dort eine Mitteilung von mir finden wird. Ja, ja, das wird reichen und bewirken, daß er Brighton verläßt.« Den letzten Satz schrieb die wohlwollende Briggs mit großer Befriedigung nieder.
»Mich schon am Tag nach Mrs. Butes Abreise zu überfallen«, schwatzte die alte Dame weiter, »das war doch etwas taktlos. Briggs, meine Liebe, schreiben Sie an Mrs. Crawley und sagen Sie ihr, sie brauche nicht wiederzukommen. Nein, sie braucht nicht, und sie soll auch nicht, ich will nicht Sklavin in meinem eigenen Hause sein – und ich will nicht verhungern und vergiftet werden. Sie wollen mich alle umbringen – alle – ja, alle.« Und bei diesen Worten brach die einsame alte Frau in einen hysterischen Tränenstrom aus.
Der letzte Aufzug ihrer traurigen Komödie auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit näherte sich schnell dem Ende, die flimmernden Lampen erloschen eine nach der anderen, und der dunkle Vorhang sollte sich bald herabsenken.
Der letzte Absatz, der Rawdon an Miss Crawleys Advokaten in London verwies und den die Briggs so befriedigt geschrieben hatte, tröstete den Dragoner und seine Frau etwas nach der ersten schweren Enttäuschung über die ablehnende Antwort der alten Jungfer hinsichtlich der Versöhnung. Aber er erfüllte den Zweck, den die alte Dame beim Schreiben im Auge gehabt hatte, denn Rawdon war jetzt sehr erpicht darauf, nach London zu kommen.
Mit Josephs Geldverlusten und mit George Osbornes Banknoten bezahlte er die Gasthofrechnung, und der Wirt hat wahrscheinlich bis heute nicht erfahren, wie unsicher die Aussicht auf Bezahlen seiner Rechnung einmal war. Denn wie ein General vor
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