Jahrmarkt der Eitelkeit
sagen, wenn sie ein Stück gefahren wären.
Dobbin ging in sein altes Quartier zu Slaughters und dachte wahrscheinlich daran, wie schön es wäre, mit Mrs. Osborne in der Droschke zu sitzen. Georges Geschmack war offensichtlich anderer Art, denn als er genug Wein getrunken hatte, ging er zum halben Preis ins Theater, um Mr. Kean den Shylock 1 spielen zu sehen. Hauptmann Osborne war ein großer Theaterfreund und war selbst bei verschiedenen Theatervorstellungen in der Garnison in komischen Rollen erfolgreich aufgetreten. Joseph schlief bis in die dunkle Nacht hinein und fuhr erst hoch, als sein Diener die Weinkaraffen auf dem Tisch leerte und abräumte. Der Droschkenstand wurde erneut alarmiert, und es kam ein Wagen, der den dicken Helden nach Hause und ins Bett brachte.
Als die Kutsche vor dem kleinen Gartentor anhielt, rannte Mrs. Sedley aus dem Hause, drückte ihre Tochter in mütterlicher Liebe ans Herz und begrüßte die weinende, zitternde junge Frau so stürmisch, daß der alte Mr. Clapp, der in Hemdsärmeln in seinem Gärtchen arbeitete, erschrocken zusammenfuhr. Das irische Dienstmädchen eilte aus der Küche und lächelte ihr ein »Gott segne Sie« zu. Amelia war kaum imstande, über die Steinplatten und die Treppe ins Wohnzimmer zu gehen.
Jeder Leser mit einem bißchen Gefühl kann sich ausmalen, wie die Tränenschleusen geöffnet wurden und Mutter und Tochter sich weinend umarmten, als sie in dem Heiligtum waren. Wann weinen Frauen nicht? Bei welcher freudigen oder traurigen oder anderen Gelegenheit im Leben? Nach einem solchen Ereignis wie einer Hochzeit durften Mutter und Tochter sicher ihrem Gefühl Luft machen, was ebenso zärtlich wie erquickend war. Ich habe schon Frauen gesehen, die sich sonst haßten und die sich doch küßten und zusammen weinten, wenn es um eine Hochzeit ging. Wie stark sind ihre Gefühle erst, wenn sie sich lieben! Gute Mütter heiraten bei der Hochzeit ihrer Töchter noch einmal, und wer weiß nicht, daß bei späteren Ereignissen Großmütter doppelt mütterlich sind? In der Tat weiß eine Frau oft erst dann, was es heißt, Mutter zu sein, wenn sie Großmutter geworden ist. Wir wollen daher Amelia und ihre Mama bei ihrem Flüstern, Weinen, Lachen und Schluchzen im Dämmerlicht des Wohnzimmers allein lassen. Der alte Mr. Sedley tat es. Er hatte nicht erraten, wer in der Kutsche saß, die vor dem Hause hielt. Er war seiner Tochter nicht entgegengeeilt, obgleich er sie bei ihrem Eintreten in das Zimmer (wo er wie immer mit seinen Papierbündeln, Schnüren und Rechnungen beschäftigt war) herzlich küßte. Nachdem er aber eine Weile bei Mutter und Tochter sitzen geblieben war, überließ er ihnen das Stübchen weise allein.
Georges Kammerdiener sah hochmütig Mr. Clapp zu, der in Hemdsärmeln seine Rosensträucher begoß. Er nahm jedoch sehr herablassend den Hut vor Mr. Sedley ab, der ihn nach seinem Schwiegersohn fragte und nach Josephs Wagen und ob seine Pferde auch in Brighton gewesen seien und wie es um den höllischen Verräter Bonaparte und den Krieg stünde – bis das irische Dienstmädchen mit einer Flasche Wein auf einem Tablett erschien, aus der der alte Herr dem Diener unbedingt einschenken wollte. Er gab ihm auch eine halbe Guinee, die der Diener mit einer Mischung von Verwunderung und Verachtung einsteckte. »Auf das Wohl Ihrer Herrschaft, Trotter«, sagte Mr. Sedley, »und hier ist etwas, damit Sie zu Hause auf Ihre Gesundheit trinken können, Trotter.«
Es waren erst neun Tage vergangen, seit Amelia ihr Heim in dem kleinen Häuschen verlassen hatte, wie lange schien ihr aber der Abschied schon zurückzuliegen. Was für ein Abgrund lag zwischen ihr und ihrem früheren Leben. Wenn sie von ihrem jetzigen Standpunkt fast wie ein fremdes Wesen darauf zurückblickte, sah sie das junge unverheiratete Mädchen, in ihre Liebe versunken, das für nichts anderes Augen hatte. Sie hatte die elterliche Liebe nicht undankbar, aber doch gleichgültig und als selbstverständlich hingenommen, und ihr ganzes Herz und Denken waren nur auf die Erfüllung eines Wunsches gerichtet. Der Rückblick auf diese kaum erst entschwundenen und doch schon so fernen Tage erweckte in ihr ein Schamgefühl, und der Anblick der guten Eltern erfüllte sie mit zärtlicher Reue. War der Preis – der Himmel auf Erden – errungen und die Gewinnerin noch zweifelnd und unbefriedigt? Gewöhnlich läßt der Romanschreiber, wenn Held und Heldin im Hafen der Ehe gelandet sind, den Vorhang fallen, als ob
Weitere Kostenlose Bücher