Jahrmarkt der Eitelkeit
waren woanders gewesen, als die Wagen sich begegneten, und erst als er ein paar Schritt weiter geritten war, entsann er sich, daß der gerade Vorbeigefahrene Osborne gewesen war. Dann hatte er sich umgedreht, um zu sehen, ob der Anblick ihres Schwiegervaters auf Amelia irgendeinen Eindruck gemacht habe, aber das arme Mädchen hatte gar nicht gemerkt, wer vorbeigekommen war. Hierauf hatte William, der sie täglich bei ihren Fahrten begleitete, seine Uhr herausgezogen, sich mit einer Verabredung, die ihm plötzlich eingefallen war, entschuldigt und war fortgeritten. Sie bemerkte auch das nicht, sondern blickte geradeaus über die Ebene hinweg zu den fernen Wäldern, wohin George marschiert war.
»Mr. Osborne, Mr. Osborne!« rief Dobbin, als er herangekommen war, und hielt ihm die Hand hin. Osborne machte keine Anstalten, sie zu ergreifen, sondern schrie noch einmal fluchend seinem Bedienten zu, schneller zu fahren. Dobbin legte seine Hand auf den Kutschenschlag. »Ich muß Sie sprechen, Sir«, sagte er, »ich habe eine Botschaft für Sie.«
»Von der Frau da?« fragte Osborne grimmig.
»Nein«, entgegnete der andere, »von Ihrem Sohn«, worauf Osborne in die Wagenecke zurücksank. Dobbin ließ ihn weiterfahren und ritt dicht dahinter durch die ganze Stadt, ohne ein Wort zu sprechen, bis sie Osbornes Hotel erreichten. Dort folgte er Osborne zu seinen Zimmern. George war oft in diesen Räumen gewesen. Es waren die, die die Crawleys während ihres Aufenthalts in Brüssel bewohnt hatten.
»Bitte, haben Sie vielleicht irgendwelche Befehle für mich, Hauptmann Dobbin oder, Verzeihung, ich hätte sagen sollen, Major Dobbin, da bessere Männer als Sie tot sind und Sie an deren Platz getreten sind«, sagte Mr. Osborne mit dem sarkastischen Ton, den er zuweilen gern annahm.
»Ja, bessere Männer sind tot«, erwiderte Dobbin, »von einem will ich mit Ihnen sprechen.«
»Machen Sie es kurz, Sir«, sagte der andere mit einem Fluch und blickte den Besucher finster an.
»Ich bin hier als sein engster Freund«, fuhr der Major fort, »und als der Vollstrecker seines letzten Willens. Er hat sein Testament aufgesetzt, ehe wir in die Schlacht zogen. Wissen Sie, wie gering seine Mittel sind und in welcher traurigen Lage sich seine Witwe befindet?«
»Ich kenne seine Witwe nicht«, sagte Osborne. »Soll sie doch zu ihrem Vater zurückkehren.«
Aber der Herr, mit dem er sprach, war entschlossen, seinen Gleichmut zu wahren, und fuhr fort, ohne die Unterbrechung zu beachten:
»Kennen Sie Mrs. Osbornes Lage? Ihr Leben und ihr Verstand sind dem Schlag, der sie getroffen hat, beinahe zum Opfer gefallen. Es ist sehr zweifelhaft, ob sie sich je erholen wird. Es besteht noch eine Möglichkeit für sie, und deshalb komme ich zu Ihnen. Sie wird bald Mutter werden. Wollen Sie die Sünde des Vaters an dem Kind heimsuchen? Oder wollen Sie dem Kind um des armen Georges willen verzeihen?«
Osborne brach in einen Schwall von Eigenlob und Verwünschungen aus. Ersteres, um seine Haltung vor dem eigenen Gewissen zu entschuldigen, letzteres, um Georges Pflichtvergessenheit zu übertreiben. Kein Vater in ganz England hätte sich großzügiger gegenüber einem Sohn verhalten können, der sich bösartig gegen ihn aufgelehnt hatte. Er war gestorben, ohne auch nur andeutungsweise zu bekennen, daß er unrecht gehabt habe. Mochte er nun die Folgen seines Ungehorsams und seiner Torheit tragen. Er selbst, Mr. Osborne, jedoch war ein Mann von Wort. Er hatte geschworen, niemals mit jener Frau zu sprechen oder sie gar als Gattin seines Sohnes anzuerkennen. »Das können Sie ihr sagen«, schloß er mit einem Fluch, »und dazu werde ich bis zum Ende meiner Tage stehen.«
Es gab also von dieser Seite her keine Hoffnung mehr. Die Witwe mußte von dem wenigen leben, was sie hatte, oder von dem, womit Joseph sie unterstützen konnte. Wenn ich es ihr auch erzählte, sie würde es doch nicht beachten, dachte Dobbin traurig; denn die Gedanken des armen Mädchens waren seit der Katastrophe überhaupt nicht mehr hier; betäubt von der Last ihres Kummers, war ihr Gutes ebenso gleichgültig wie Böses, und sie hatte auch keine Empfindung für Freundschaft und Güte. Sie nahm alles klaglos hin und versank wieder in ihrem Kummer.
Nach der obigen Unterredung wollen wir jetzt ein Jahr im Leben der armen Amelia überspringen. Sie hat die ersten Monate davon in so tiefem und mitleiderregendem Schmerz zugebracht, daß wir, die wir einige Regungen dieses schwachen, zarten Herzens
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