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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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Brief geschickt. Meines Sohnes Brief enthält auch einen für Sie, Osborne.« Der Alderman legte den Brief auf den Tisch, und Osborne starrte den alten Herrn ein paar Sekunden schweigend an. Seine Blicke erschreckten den Abgesandten, und nachdem er den gramgebeugten Mann eine Weile schuldbewußt angesehen hatte, eilte er ohne ein weiteres Wort hinaus.
    Der Brief war in Georges wohlbekannter kühner Handschrift verfaßt. Es war der, den er vor Tagesanbruch des 16. Juni kurz vor dem Abschied von Amelia geschrieben hatte. Das große rote Siegel zeigte das angemaßte Wappen mit dem Motto »Pax in bello« 1 , das Osborne aus dem Adelskalender entnommen hatte und das dem Herzoghaus gehörte, dem verwandt zu sein der eitle alte Mann sich vergeblich einzureden suchte. Die Hand, die den Brief unterschrieben hatte, würde niemals wieder Feder oder Schwert führen. Das Petschaft, womit er gesiegelt war, hatte man Georges Leichnam auf dem Schlachtfeld geraubt. Der Vater wußte nichts davon, sondern saß da und starrte mit entsetzlicher Leere darauf. Als er ging, um ihn zu öffnen, fiel er beinahe hin.
    Hattest du je einen Streit mit einem teuren Freund? Wie dich seine Briefe aus der Zeit der Liebe und des Vertrauens abschrecken und tadeln! Was für eine düstere Trauer rufen dir die feurigen Beteuerungen toter Zuneigung hervor! Was für eine lügnerische Grabinschrift über der Leiche der Liebe sind sie doch! Was für finstere, grausame Kommentare über Leben und Eitelkeit! Die meisten von uns haben Schubladenvoll davon erhalten oder geschrieben. Es sind Gespenster, die wir aufbewahren, aber meiden. Osborne zitterte lange vor dem Brief seines toten Sohnes.
    Der Brief des armen Jungen beinhaltete nicht viel. Er war zu stolz gewesen, die Zärtlichkeit, die er im Herzen fühlte, zu zeigen. Er sagte nur, daß er am Vorabend einer großen Schlacht seinem Vater Lebewohl sagen und feierlich dessen Beistand für die Frau – vielleicht auch das Kind –, die er zurückließ, erbitten wolle. Er gestand zerknirscht, daß er durch sein ausschweifendes, verschwenderisches Leben bereits einen großen Teil seines kleinen mütterlichen Vermögens vergeudet habe. Er dankte seinem Vater für den früher bewiesenen Großmut, und er versprach ihm, daß er sich des Namens George Osborne würdig erweisen werde, mochte er nun im Felde fallen oder überleben.
    Seine englische Art, sein Stolz, vielleicht auch Verlegenheit, hatten ihn daran gehindert, mehr zu sagen. Sein Vater konnte den Kuß nicht sehen, den George auf die Überschrift seines Briefes gedrückt hatte. Mr. Osborne ließ das Schriftstück mit dem bittersten, tödlichsten Schmerz getäuschter Liebe und Rache fallen. Immer noch liebte er den Sohn und vergab ihm nicht.
    Etwa zwei Monate später jedoch bemerkten die jungen Damen, als sie mit ihrem Vater zur Kirche gingen, daß er sich auf einen anderen Platz setzte als sonst, wenn er zum Gottesdienst kam, und von seinem Kissen aus blickte er auf die Mauer über ihnen. Das veranlaßte die jungen Mädchen, ebenfalls in die Richtung zu schauen, in die der düstere Blick des Vaters deutete, und sie erspähten an der Wand ein kunstvolles Denkmal. Darauf war Britannia weinend über einer Urne dargestellt, und ein zerbrochenes Schwert und ein liegender Löwe deuteten an, daß das Bildwerk zu Ehren eines gefallenen Soldaten errichtet worden war. Die Bildhauer jener Zeit hatten immer einen ganzen Vorrat solcher Trauersymbole auf Lager, und man kann noch jetzt auf den Wänden der Sankt-Pauls-Kathedrale Hunderte solcher prahlerischen heidnischen Allegorien sehen. Während der ersten fünfzehn Jahre unseres Jahrhunderts bestand eine große Nachfrage danach.
    Unter dem erwähnten Denkmal war das bereits bekannte prunkvolle Osbornesche Wappen angebracht, und wie die Inschrift besagte, war das Denkmal geweiht »dem Andenken von George Osborne, zuletzt Hauptmann in Seiner Majestät ...tem Infanterieregiment, gefallen im Alter von achtundzwanzig Jahren, am 18. Juni 1815 in der siegreichen Schlacht bei Waterloo für König und Vaterland. Dulce et decorum est pro patria mori. 2 «
    Der Anblick dieses Gedenksteins erregte die Nerven der Schwestern so sehr, daß Miss Maria die Kirche verlassen mußte. Die Gemeinde machte achtungsvoll den tiefschwarzgekleideten, schluchzenden Mädchen Platz und bemitleidete den finsteren alten Vater, der gegenüber dem Monument des toten Soldaten saß. »Ob er Mrs. George vergibt?« fragten sich die Mädchen, sobald der

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