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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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angesehen«, sagte die andere.
    »Ich wünschte, sie täte es. Ich will die ›Apfelfrau von Finchley‹ nicht lesen«, beteuerte Violet, und mit diesen Worten gingen die beiden Mädchen zum Familienmahl, zu dem die Glocke wie gewöhnlich ertönte. Dabei vermieden sie einen Gang, an dessen Ende ein gewisser Sarg stand, von zwei Wächtern bewacht und beleuchtet von Kerzen, die in dem verschlossenen Zimmer ständig brannten.
    Vor dem Essen jedoch führte Lady Jane Rebekka in die für sie bestimmten Gemächer, die wie das ganze übrige Haus unter Pitts Regierung viel ordentlicher und behaglicher geworden waren. Als sie sah, daß Mrs. Rawdons bescheidene Köfferchen angekommen und ins Schlafzimmer und den angrenzenden Ankleideraum gebracht worden waren, half sie ihr, den netten schwarzen Hut und den Mantel abzulegen und fragte ihre Schwägerin, womit sie ihr sonst dienen könnte.
    »Am liebsten«, sagte Rebekka, »möchte ich ins Kinderzimmer gehen und Ihre lieben Kinderchen sehen.« Draufhin blickten sich beide Damen sehr freundlich an und gingen Hand in Hand dorthin.
    Becky bewunderte die kleine Matilda, die noch nicht ganz vier Jahre alt war, als den bezauberndsten kleinen Engel der Welt und den Knaben, einen kleinen bleichen Burschen von zwei Jahren, mit schweren Augenlidern und großem Kopf, als ein wahres Wunder an Größe, Verstand und Schönheit.
    »Ich wünschte nur, Mama wollte ihm nicht unbedingt immer so viel Medizin geben«, sagte Lady Jane mit einem Seufzer. »Ich denke oft, ohne ginge es uns allen viel besser.« Dann führten Lady Jane und ihre neue Freundin eines jener vertraulichen Gespräche über Medizin und Kinder, an denen alle Mütter und, wie ich höre, die meisten Frauen das größte Vergnügen finden. Der Verfasser dieser Geschichte erinnert sich noch gut der Zeit von fünfzig Jahren, als er ein interessanter kleiner Knabe war und nach dem Essen mit den Damen das Zimmer verlassen mußte. Dabei drehten sich deren Gespräche hauptsächlich um ihre Krankheiten, und als er später ein paar von ihnen direkt fragte, wurde ihm bestätigt, daß sich die Zeiten nicht geändert hätten. Meine schönen Leserinnen mögen noch heute abend selbst ihre Beobachtungen anstellen, wenn sie nach dem Dessert die Tafel verlassen und sich versammeln, um den Salondienst abzuhalten. Nun, nach einer halben Stunde jedenfalls waren Becky und Lady Jane vertraute Freundinnen – und im Laufe des Abends äußerte die Lady gegenüber Sir Pitt, daß sie ihre neue Schwägerin für eine freundliche, offene, unaffektierte und liebevolle junge Frau halte.
    Nachdem die unermüdliche kleine Frau leicht Lady Janes Zuneigung erworben hatte, machte sie sich daran, die erlauchte Mutter zu gewinnen. Sobald Rebekka Lady Southdown allein traf, überfiel sie sie sofort mit Fragen des Kinderzimmers und erklärte, daß ihr eigener kleiner Knabe durch den reichlichen Gebrauch von Kalomel gerettet, im wahrsten Sinne gerettet worden sei, als alle Pariser Ärzte das liebe Kind schon aufgegeben hatten. Sodann erwähnte sie, wie oft sie durch Ehrwürden Lawrence Grills von Lady Southdown gehört hatte. Dieser vortreffliche Mann sei doch der Prediger der Kapelle in Mayfair, die sie häufig besuchte. Ihre Ansichten hätten sich durch die Verhältnisse und Unglücksfälle sehr geändert, und sie hoffte, daß ihr früheres Leben in Weltlichkeit und Irren sie nicht unfähig gemacht habe, in Zukunft ernsthaftere Gedanken zu hegen. Sie erzählte, wie sie Sir Pitt Crawley für seine einstmaligen religiösen Unterweisungen zu Dank verpflichtet sei, und erwähnte die »Apfelfrau von Finchley«, die sie mit dem größten Nutzen gelesen habe, und erkundigte sich nach Lady Emily, der genialen Verfasserin, jetzt Lady Emily Hornblower in Kapstadt, wo ihr Gemahl beste Aussichten hatte, Bischof von Kaffraria 1 zu werden.
    Sie krönte jedoch ihre Bemühungen und sicherte sich Lady Southdowns Gunst dadurch, daß sie sich nach der Beerdigung sehr aufgeregt und unwohl fühlte und den medizinischen Rat der Lady erbat. Die verwitwete Gräfin erteilte ihr nicht nur diesen, sondern kam in der Nacht, in ein Schlafgewand gehüllt, mehr denn je Lady Macbeth gleichend, höchstpersönlich in Rebekkas Schlafzimmer mit einem Paket ihrer Lieblingstraktate und einer eigenhändig zusammengebrauten Medizin, die Mrs. Rawdon unbedingt einnehmen müßte.
    Becky nahm zuerst die Traktate, begann sie mit großem Interesse durchzusehen. Dabei verwickelte sie die verwitwete Gräfin in ein

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