Jahrmarkt der Eitelkeit
belegten Oberst Crawley und seine Frau zwei Plätze in derselben prachtvollen alten Postkutsche, worin Rebekka in Gesellschaft des seligen Baronets vor nunmehr fast neun Jahren ihre erste Reise in die Welt angetreten hatte. Wie deutlich erinnerte sie sich des Gasthofs und des Stallknechts, dem sie kein Trinkgeld gegeben hatte, und des einschmeichelnden Studenten, der sie während der Fahrt in seinen Überrock gehüllt hatte! Rawdon wählte seinen Platz außen und hätte am liebsten selbst kutschiert, aber dies verbot seine Trauer. Er saß neben dem Kutscher und unterhielt sich mit ihm während der ganzen Fahrt über Pferde und die Straße, und wer der Besitzer der einzelnen Gasthäuser war, und wem die Pferde der Postkutsche gehörten, mit der er und Pitt als Jungen so oft nach Eton gefahren waren. In Mudbury erwartete sie ein Wagen mit zwei Pferden und einem schwarzgekleideten Kutscher. »Es ist das alte Vehikel, Rawdon«, sagte Rebekka, als sie einstiegen. »Der Stoff ist ganz wurmzerfressen – und da ist auch der Fleck, um den Sir Pitt – ha! Dawson, der Eisenhändler, hat seine Fenster ja auch verhängt –, um den Sir Pitt solchen Lärm gemacht hat. Er stammt von einer Flasche Kirschbranntwein, die er zerbrochen hat. Wir hatten sie für deine Tante aus Southampton geholt. Wie die Zeit vergeht, das kann doch wohl nicht Polly Talboys sein, das ausgewachsene Mädchen, das dort bei ihrer Mutter vor dem Häuschen steht. Ich habe sie noch als kleine Rotznase gekannt, die im Garten Unkraut jätete.«
»Hübsches Mädchen«, sagte Rawdon und erwiderte den Gruß von dem Häuschen, indem er zwei Finger an den Trauerflor seines Hutes legte. Becky verneigte sich und grüßte die Leute hier und da gnädig. Dieses Grüßen war ihr äußerst angenehm. Es schien ihr, daß sie keine Schwindlerin mehr sei, sondern in die Heimat ihrer Väter zurückkehrte. Rawdon dagegen war ziemlich beschämt und niedergeschlagen. Was für Erinnerungen an Jugend und Unschuld mochten ihm durch den Kopf gehen? Welche Gefühle von Zweifel, unbestimmter Reue und Scham mochte er empfinden?
»Deine Schwestern müssen jetzt erwachsen sein«, sagte Rebekka, die vielleicht zum erstenmal, seit sie die Mädchen verlassen hatte, an sie dachte.
»Weiß wirklich nicht«, erwiderte der Oberst. »Hallo, da ist ja die alte Mutter Lock. Wie geht's, Mrs. Lock. Kennen Sie mich nicht mehr? Master Rawdon, he? Verdammt, was die alten Weiber für ein zähes Leben haben; sie war hundert, als ich noch ein Junge war.«
Sie fuhren durch das Parktor, das von der alten Mrs. Lock bewacht wurde.
Rebekka mußte ihr unbedingt die Hand schütteln, als sie das kreischende alte Eisentor aufriß, und der Wagen fuhr zwischen den beiden moosbewachsenen Eisenpfeilern mit der Taube und der Schlange hindurch.
»Der Alte hat aber die Bäume gehauen«, sagte Rawdon und sah sich um. Dann verstummte er, und auch Becky schwieg. Beide waren erregt und dachten an alte Zeiten. Er an Eton und seine Mutter, die ihm als kalte, ehrbare Frau in Erinnerung geblieben war, und an eine früh verstorbene Schwester, die er leidenschaftlich geliebt hatte, und daran, wie er Pitt verdroschen hatte, und an den kleinen Rawdy daheim. Und Rebekka an ihre eigene Jugend und die dunklen Geheimnisse jener frühen vergifteten Tage und ihren Eintritt ins Leben durch die Pforte da, und an Miss Pinkerton, und Joseph, und Amelia.
Der Kiesweg und die Terrassen waren gesäubert worden. Über dem Haupteingang hing bereits ein großes gemaltes Trauerwappen, und zwei sehr feierliche, hochgewachsene Gestalten in Schwarz rissen jeder einen Türflügel auf, als der Wagen an der wohlbekannten Treppe vorfuhr. Rawdon wurde rot und Becky etwas bleich, als sie Arm in Arm durch die alte Halle gingen. Sie kniff ihren Mann in den Arm, als sie in das eichengetäfelte Zimmer traten, wo Sir Pitt und seine Frau standen, sie zu empfangen: Sir Pitt in Schwarz, Lady Jane in Schwarz und Lady Southdown mit einem großen schwarzen Kopfputz von Glasperlen und Federn, der auf dem Kopf der Dame wippte wie der Püschel auf einem Leichenwagen.
Sir Pitt hatte richtig vermutet, daß sie das Haus nicht verlassen würde. Sie begnügte sich in Gegenwart von Pitt und seiner rebellischen Frau mit einem feierlichen, frostigen Schweigen und damit, die Kleinen im Kinderzimmer durch ihre gespenstisch düstere Miene zu erschrecken. Nur ein schwaches Nicken mit dem Federbusch begrüßte Rawdon und seine Frau, als diese ungeratenen Kinder in den Schoß der
Weitere Kostenlose Bücher