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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
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halben Jahres trafen jedoch keine sechzig Pfund ein, um dem Haushalt aufzuhelfen, und er geriet in immer größere Verlegenheit. Mrs. Sedley, deren Gesundheitszustand immer schlechter wurde, schwieg oder weinte sich bei Mrs. Clapp in der Küche aus. Der Fleischer war ungemein mürrisch, der Kolonialwarenhändler grob; ein paarmal schon hatte sich der kleine Georgy über das Essen beklagt; Amelia wäre beim Essen mit einem Stück Brot ausgekommen, sie konnte aber nicht mit ansehen, daß ihr Sohn vernachlässigt wurde, und kaufte ihm Kleinigkeiten aus ihrer eigenen Tasche, damit der Junge gesund bliebe.
    Endlich erzählten sie es ihr oder erzählten ihr vielmehr eine so verstümmelte Geschichte, wie sie Leute in Geldverlegenheit eben zu erzählen pflegen. Eines Tages, als Amelia ihr Geld empfangen hatte und es abliefern wollte, schlug sie vor, einen gewissen Teil ihres Einkommens zurückzubehalten, da sie für Georgy einen neuen Anzug bestellt hatte.
    Da kam es heraus, daß Joseph keine Unterstützung gezahlt hatte und die Familie sich in Schwierigkeiten befand, die Amelia längst schon hätte sehen müssen, wie die Mutter meinte, aber sie kümmerte sich ja um nichts und niemanden außer Georgy. Darauf schob Amelia wortlos der Mutter ihr ganzes Geld über den Tisch zu und ging auf ihr Zimmer, um sich die Augen auszuweinen. An dem Tage hatte sie noch einen Gefühlsausbruch, als sie die Kleider abbestellen mußte, die schönen Kleider, die sie sich für Weihnachten in den Kopf gesetzt hatte. In vielen Unterredungen mit einer kleinen Putzmacherin, ihrer Freundin, hatte sie schon lange Schnitt und Machart abgesprochen.
    Das Schlimmste aber war, daß sie die Sache Georgy beibringen mußte, der ein lautes Geschrei erhob. Alle bekämen zu Weihnachten neue Kleider. Die anderen würden ihn auslachen. Er wollte unbedingt neue Kleider haben, sie habe sie ihm versprochen. Die arme Witwe konnte ihm nur Küsse geben. Unter Tränen flickte sie den alten Anzug. Sie durchkramte ihre wenigen Schmucksachen, um zu sehen, ob sie etwas davon verkaufen und damit die gewünschten neuen Sachen anschaffen könnte. Dabei fiel ihr der Kaschmirschal in die Hände, den Dobbin ihr geschickt hatte. Sie erinnerte sich, daß sie früher mit ihrer Mutter einen schönen indischen Laden in Ludgate Hill aufgesucht hatte, wo die Damen dergleichen Artikel zu kaufen pflegten. Ihre Wangen röteten sich, und ihre Augen glänzten vor Freude, als sie an diese Geldquelle dachte, und sie küßte an jenem Morgen ihren George, ehe er in die Schule ging, und lächelte ihm freundlich nach. Der Knabe fühlte, daß in ihren Blicken gute Nachrichten lagen.
    Sie packte also ihren Schal in ein seidenes Tuch (auch ein Geschenk des guten Majors), verbarg ihn unter ihrem Mantel und eilte freudegerötet und munter den ganzen Weg zu Fuß nach Ludgate Hill. Sie trippelte an der Parkmauer entlang und lief über die Kreuzungen, so daß sich mancher Mann, an dem sie vorbeieilte, umdrehte und ihrem rosigen hübschen Gesicht nachsah. Sie rechnete sich aus, wie sie den Erlös des Schals verwenden würde. Sie wollte außer den Kleidern auch die Bücher kaufen, die er sich so sehr wünschte und das Schulgeld für ein halbes Jahr bezahlen und ihrem Vater einen Mantel kaufen an Stelle des alten Überrockes, den er trug. Sie hatte sich über den Wert des Geschenkes, das sie vom Major erhalten, nicht getäuscht. Es war ein sehr feines schönes Gewebe, und der Kaufmann machte ein gutes Geschäft, als er ihr zwanzig Guineen für ihren Schal gab.
    Verwirrt und erstaunt über ihren Reichtum, eilte sie sogleich zum nächsten Buchhändler und kaufte dort den »Helfer der Eltern« 3 und »Sandford und Merton« 4 , die sich George so gewünscht hatte. Mit ihrem Päckchen stieg sie dann in einen Wagen und fuhr frohlockend nach Hause. Glücklich schrieb sie in die Bücher mit ihrer schönsten Schrift: »Für George Osborne; zu Weihnachten von seiner lieben Mutter.« Die Bücher mit der schönen zarten Inschrift sind noch jetzt vorhanden.
    Sie ging gerade mit den Büchern in der Hand aus ihrem Zimmer, um sie auf Georges Tisch zu legen, wo er sie bei der Rückkehr von der Schule finden sollte, als sie im Flur ihre Mutter traf. Die vergoldeten Einbände der sieben hübschen kleinen Bände fielen der alten Dame auf.
    »Was hast du denn da?« fragte sie.
    »Ein paar Bücher für Georgy«, antwortete Amelia errötend. »Ich – ich habe sie ihm zu Weihnachten versprochen.«
    »Bücher!« rief die alte Dame

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