Jahrmarkt der Eitelkeit
zornig. »Bücher, wenn im ganzen Haus kein Brot ist – Bücher, wo ich alle meine Schmucksachen verkaufe und mir den indischen Schal von den Schultern gerissen habe und sogar die Silberlöffel weggeben mußte – um dir und deinem Sohn ein Wohlleben zu sichern und deinen guten Vater vor dem Gefängnis zu bewahren, damit uns die Kaufleute nicht unverschämt behandelten und Mr. Clapp seine Miete erhalten sollte. Darauf hat er nämlich ein Recht, denn er ist kein harter Wirt, sondern ein höflicher Mann und selbst Familienvater. Oh, Amelia, du brichst mir das Herz mit deinen Büchern und deinem Jungen, den du ins Unglück stürzt, denn du willst dich ja nicht von ihm trennen. Ach, Amelia, möge dir Gott ein gehorsameres Kind schenken, als ich es gehabt habe. Joseph verläßt seinen Vater auf seine alten Tage, und George könnte versorgt sein und reich werden und wie ein Lord mit einer goldenen Uhr an der Kette um den Hals in die Schule gehen, während mein lieber, lieber alter Mann keinen Shi-i-illing hat.« Hysterisches Schluchzen und Weinen beendete Mrs. Sedleys Rede. Es drang durch alle Räume des kleinen Hauses, so daß alle übrigen weiblichen Bewohner jedes Wort der Unterhaltung verstehen konnten.
»O Mutter, Mutter!« rief die arme Amelia. »Du hast mir nichts gesagt; ich – ich habe ihm die Bücher versprochen; ich – ich habe auch meinen Schal heute früh verkauft. Nimm das Geld – nimm alles!« Und mit zitternden Händen holte sie ihr Silbergeld und ihre Sovereigns heraus, ihre kostbaren, goldenen Sovereigns, und drückte sie ihrer Mutter in die Hände. Diese konnte gar nicht alles fassen, und die Geldstücke fielen auf den Boden und rollten die Treppe hinunter.
Dann begab sie sich auf ihr Zimmer und sank verzweifelt und unglücklich nieder. Jetzt sah sie alles deutlich. Mit ihrer Selbstsucht opferte sie den Knaben. Wäre sie nicht, so könnte er Reichtum, Rang, Erziehung und den Platz seines Vaters haben, die der ältere George um ihretwillen aufgegeben hatte. Sie brauchte nur ein Wort zu sagen, und ihr Vater hätte wieder sein Auskommen, und ihr Sohn würde sein Glück machen. Oh, wie zerknirscht dies zarte, gebeugte Herz war!
48. Kapitel
In dem der Leser in die allerbeste Gesellschaft eingeführt wird
Beckys freundliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Haupt der Familie ihres Mannes sollte schließlich großartig belohnt werden. Nach dieser Belohnung, die gar nicht einmal sehr greifbarer Natur war, strebte die kleine Frau begieriger als nach materiellen Vorteilen. Wenn sie schon kein tugendhaftes Leben führen wollte, so wollte sie doch wenigstens im Ruf der Tugend stehen, und wir wissen, daß einer Dame der vornehmen Welt dieser Wunsch erst erfüllt wird, wenn sie in Schleppe und Federn ihrem König bei Hofe vorgestellt worden ist. Von diesem erlauchten Treffen kommen sie, als ehrbare Frauen gestempelt, zurück. Der Oberzeremonienmeister stellt ihnen ein Zeugnis ihrer Tugend aus. Und wie verdächtige Waren und Briefe in der Quarantäne durch einen Ofen geschickt und mit aromatischem Essig besprengt werden, worauf man sie für rein erklärt, so geht auch manche Dame, die in zweifelhaftem Ruf steht und ansteckend wirken könnte, durch die heilsame Feuerprobe der Vorstellung bei Hofe und kommt völlig makellos wieder heraus.
Lady Bareacres, Lady Tufto, Mrs. Bute Crawley auf dem Lande und andere Damen, die mit Mrs. Rawdon Crawley in Berührung gekommen waren, mochten wohl pfui rufen bei dem Gedanken, daß diese abscheuliche kleine Abenteurerin ihren Knicks vor dem König hatte machen dürfen. Sie mochten beteuern, daß die liebe, gute Königin Charlotte 1 , wenn sie noch gelebt hätte, nie eine so schlecht angesehene Person in ihren keuschen Salon eingelassen hätte. Wenn wir aber bedenken, daß Mrs. Rawdon in der erhabenen Gegenwart des ersten Gentleman von Europa ihr Examen bestand und gewissermaßen das Diplom eines guten Rufes erhielt, so wäre es einfach Untreue, länger an ihrer Tugend zu zweifeln. Ich für mein Teil blicke mit Liebe und Verehrung auf diese große historische Persönlichkeit zurück. Ach, wie hoch und herrlich muß man auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit dann die Würde eines Gentleman einschätzen, wenn dieses ehrenwerte und erlauchte Wesen durch den einstimmigen Beifall des vornehmen und gebildeten Teils des englischen Reiches mit dem Titel »Erster Gentilhomme des Königreichs« belegt wurde! Erinnerst du dich noch, lieber M., du Freund meiner Jugend, eines seligen Abends vor
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