Jahrmarkt der Eitelkeit
ohnmächtig beim Zuhören. Mr. Joe erzählte einige seiner Tigerjagdgeschichten, beendete die von Miss Cutler und Stabsarzt Lance, bediente Rebekka bei Tisch und aß und trank selbst riesige Mengen.
Er sprang auf, um den Damen mit umwerfender Anmut die Tür zu öffnen, als diese sich zurückzogen, und zum Tisch zurückgekehrt, schenkte er sich einen Becher Rotwein nach dem andern ein und stürzte ihn mit nervöser Hast hinunter.
»Er trinkt sich Mut an«, flüsterte Osborne Dobbin zu, und endlich kamen Stunde und Wagen für Vauxhall.
6. Kapitel
Vauxhall
Ich weiß, daß die Melodie, die ich jetzt blase, äußerst sanft ist (obgleich bald schrecklichere Kapitel folgen werden), und muß daher den gütigen Leser bitten, zu bedenken, daß wir augenblicklich bloß über eine Börsenmaklerfamilie vom Russell Square sprechen, deren Mitglieder spazierengehen, frühstücken, Mittag essen, sich unterhalten und sich verlieben wie andere gewöhnliche Sterbliche auch, und es passiert kein einziges leidenschaftliches und wunderbares Ereignis, das das Wachsen ihrer Liebe bezeichnen könnte. Die Sache steht jetzt, kurz gesagt, so: Osborne, verliebt in Amelia, hat einen alten Freund zum Mittagessen und nach Vauxhall eingeladen; Joe Sedley ist verliebt in Rebekka. Wird er sie heiraten? Das ist die große Frage, die uns nun beschäftigt.
Wir hätten dieses Thema auf vornehme, romantische oder witzige Art behandeln können. Angenommen, wir hätten die Szene nach dem Grosvenor Square 1 verlegt, ohne an den Ereignissen selbst etwas zu ändern. Würden uns da nicht manche Leute zugehört haben? Angenommen, wir hätten gezeigt, wie Lord Joseph Sedley sich verliebte und der Marquis von Osborne Lady Amelia gewann, mit der vollen Zustimmung des Herzogs, ihres edlen Vaters; oder angenommen, wir hätten, anstatt den vornehmen Adel zu beschreiben, auf die untersten Schichten zurückgreifen und erzählen können, was in Mr. Sedleys Küche geschah: wie der schwarze Sambo sich in die Köchin verliebt habe (was wirklich stimmte) und wie er sich ihretwegen mit dem Kutscher prügelte, wie der Küchenjunge beim Stehlen einer kalten Hammelkeule ertappt wurde und wie Miss Sedleys Kammermädchen sich weigerte, ohne Kerze zu Bett zu gehen. Solche Ereignisse hätten wohl die Lachmuskeln des Lesers in Bewegung gesetzt und würden als Szenen aus dem »Leben« betrachtet werden. Oder angenommen, wir hätten im Gegenteil einen Hang zum Grausigen und machten den Liebhaber des neuen Kammermädchens zum Berufseinbrecher, der mit seiner Bande in das Haus eindringt, den schwarzen Sambo zu Füßen seines Herrn hinschlachtet, Amelia im Nachtkleid entführt und sie erst im dritten Band wieder freiläßt, dann wäre die Geschichte so überaus spannend geworden, daß der Leser die erregenden Kapitel atemlos verschlungen hätte. Man stelle sich zum Beispiel vor, dieses Kapitel hätte folgende Überschrift gehabt:
Der nächtliche Überfall
Die Nacht war dunkel und wild – die Wolken schwarz – schwarz – tintenschwarz. Der brausende Wind riß die Schornsteinkappen von den Dächern der alten Häuser und wirbelte die klappernden Dachziegel durch die einsamen Straßen. Keine Seele wagte diesem Sturm zu trotzen – die Nachtwächter verkrochen sich in ihre Häuschen, wohin ihnen der prasselnde Regen folgte – wo vielleicht krachend der Blitz einschlug und sie traf. Einer war auf diese Weise gegenüber dem Findelhaus erschlagen worden. Ein versengter Mantel, eine zertrümmerte Laterne, ein zerbrochener Stab war alles, was von dem starken Will Standhaft übrigblieb. Ein Droschkenkutscher war in der Southampton Row vom Bock geweht worden – wohin? Aber der Wirbelwind bringt keine Kunde von seinem Opfer, nur den Abschiedsschrei, als er davongetragen wurde! Schreckliche Nacht! Es war dunkel, stockdunkel. Kein Mond. Nein, nein. Kein Mond. Nicht ein Stern. Nicht ein einziger, schwacher, funkelnder, einsamer Stern. Zwar war am zeitigen Abend einer aufgetaucht, aber er zeigte sein Antlitz nur einen Augenblick schaudernd am schwarzen Himmel und zog sich dann wieder zurück.
Eins, zwei, drei! Es ist das Signal, das Schwarze Maske verabredet hat.
»Mofy! Ist das deine Stimme?« fragte jemand vom unteren Hausraume her. »Ich will den Hund zum Schweigen bringen und die Tür augenblicklich aufmachen.«
»Halt dein Maul, und tummle dich!« sagte Vizard mit einem entsetzlichen Fluch. »Hierher, Männer; wenn sie schreien, dann heraus mit euren Messern, und brav damit gearbeitet!
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