Jahrmarkt der Eitelkeit
imstande, Sir Pitt zu beruhigen, und er hatte mit seiner einst so bewunderten Becky eine Auseinandersetzung, die einem Streit sehr nahekam. Er sprach von der Familienehre und dem unbefleckten Ruf der Crawleys, ereiferte sich darüber, daß sie diese jungen Franzosen – ungezügelte junge Lebemänner – und sogar Lord Steyne selbst empfing. Sein Wagen stehe stets vor ihrer Tür, er verbringe täglich Stunden in ihrer Gesellschaft, und seine beständigen Besuche bei ihr veranlaßten die Welt, über sie zu reden. Als Oberhaupt der Familie flehte er sie an, vorsichtiger zu sein. Die Gesellschaft spreche bereits geringschätzig von ihr. Lord Steyne sei zwar ein Edelmann von höchstem Stande und größten Talenten, aber doch ein Mensch, dessen Aufmerksamkeit jede Frau kompromittiere – er bat seine Schwägerin, flehte sie an, ja befahl ihr, im Verkehr mit dem Marquis auf der Hut zu sein.
Becky versprach alles, was Pitt verlangte, aber Lord Steyne kam ebenso oft zu ihr wie vorher, und Sir Pitts Zorn wuchs. Ob Lady Jane wohl erzürnt war, oder freute sie sich, daß ihr Mann endlich an seinem Liebling Rebekka etwas auszusetzen hatte? Da Lord Steyne seine Besuche fortsetzte, hörten die seinigen auf, und seine Frau schlug vor, jeden weiteren Verkehr mit dem Marquis abzubrechen und die Einladung zu dem Scharadenabend, die ihr die Marquise geschickt hatte, auszuschlagen; Sir Pitt hielt es jedoch für notwendig, sie anzunehmen, da Seine Königliche Hoheit zugegen sein würde.
Obwohl Sir Pitt zu der fraglichen Gesellschaft erschien, verließ er sie doch sehr bald wieder, und auch seine Frau war froh, als sie gehen konnte. Becky sprach wenig mit ihm und nahm kaum Notiz von ihrer Schwägerin. Pitt Crawley erklärte, ihr Benehmen sei ungeheuerlich und unpassend, und er tadelte in starken Ausdrücken das Theaterspiel und Sichverkleiden als für eine englische Frau unschicklich. Nachdem die Scharaden vorüber waren, machte er seinem Bruder Rawdon ernste Vorhaltungen darüber, daß er selbst aufgetreten sei und seiner Frau erlaubt habe, an so unziemlichen Schaustellungen teilzunehmen.
Rawdon versprach, derartige Vergnügungen nicht wieder zu besuchen. Wahrscheinlich infolge der Andeutungen seines älteren Bruders und seiner Schwägerin war er bereits ein wachsamer und beispielhafter Ehemann geworden. Er gab Klub und Billardspiel auf. Er verließ das Haus nicht allein. Er nahm Becky bei seinen Ausfahrten mit und begleitete sie zu allen Gesellschaften. Immer, wenn Lord Steyne kam, traf er mit Sicherheit den Oberst an, und wenn Becky ohne ihren Mann ausgehen wollte oder Einladungen für sich allein empfing, so verlangte er entschieden, sie solle absagen, und zwar in einer Art, die Gehorsam erzwang. Um Becky Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so war sie von der Galanterie ihres Mannes bezaubert. Wenn er mürrisch war – sie war es nie. Mochten Freunde anwesend sein oder nicht – sie hatte stets ein freundliches Lächeln für ihn und war auf sein Vergnügen und seine Bequemlichkeit bedacht. Es war noch einmal wie in den ersten Tagen ihrer Ehe: dieselbe gute Laune, Zuvorkommenheit, Fröhlichkeit, dieselbe arglose Liebe und das Vertrauen. »Wieviel angenehmer ist es doch, wenn du im Wagen neben mir sitzt, als wenn die einfältige alte Briggs mitfährt. Wir wollen immer so leben, lieber Rawdon. Wie schön wäre das doch und wie glücklich wären wir, hätten wir nur das Geld dazu.« Nach dem Essen schlief er immer in seinem Sessel ein; er sah dann nicht das Gesicht vor ihm – müde, abgespannt und furchtbar. Es hellte sich auf in einem frischen, offenen Lächeln, sobald er erwachte. Sie küßte ihn fröhlich. Er wunderte sich, daß er jemals Verdacht gehegt hatte. Nein, er hatte ja nie Verdacht gehegt. Alle unbestimmten Zweifel und düsteren Befürchtungen, die sich in seinem Kopf gesammelt hatten, waren unbegründete Eifersüchteleien gewesen. Sie hatte ihn gern und hatte ihn immer gern gehabt. Was konnte sie dafür, daß sie in der Gesellschaft so glänzte? Sie war eben dafür geboren. Gab es je eine Frau, die wie sie plaudern oder singen konnte? Wenn sie doch nur den Jungen ein bißchen gern hätte, dachte Rawdon; aber Mutter und Sohn waren wohl nie zusammenzubringen.
Während Rawdon noch von diesen Zweifeln und Unruhen gequält wurde, ereignete sich der Vorfall, den wir im letzten Kapitel erwähnt haben, und der unglückliche Oberst sah sich als Gefangener fern von seinem Haus.
53. Kapitel
Rettung und Katastrophe
Freund
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