Jahrmarkt der Eitelkeit
»Morning Post« mit den Namen aller Vornehmen, die an Lord Steynes Fest am vergangenen Abend teilgenommen hatten. Sie enthielt auch einen glänzenden Bericht über den Ball und das bewundernswerte Auftreten der schönen und talentierten Mrs. Rawdon Crawley.
Nach einem munteren Schwätzchen mit der Dame, die in bequemer Haltung auf der Kante des Frühstückstisches saß und ihren Strumpf und einen früher einmal weiß gewesenen, abgelaufenen Atlasschuh zeigte, verlangte Oberst Crawley Tinte, Feder und Papier und nahm auf die Frage, wie viele Bogen er brauche, einen, den ihm Miss Moss zwischen Zeigefinger und Daumen reichte. Manchen Bogen hatte das schwarzäugige junge Fräulein hereingebracht, manch armer Bursche hatte unter Klecksen eiligst seitenlange Bitten hingekritzelt und war in diesem furchtbaren Zimmer auf und ab gegangen, bis sein Bote die Antwort zurückbrachte. Arme Leute benutzten immer einen Boten statt der Post. Wer hat nicht schon solche Briefe mit noch feuchter Siegelmarke und der Mitteilung erhalten, daß jemand im Hausflur auf Antwort warte.
Wegen seines Anliegens hegte Rawdon eigentlich kaum Befürchtungen.
»Liebe Becky!« schrieb er. »Ich hoffe, das Du gut geschlafen hast. Kriek keinen Schreck, wenn ich Dir nicht Deinen Kaffee bringe. Als ich gestern nacht rauchend nachhause ging, hatte ich einen kleinen Unfall. Moss von der Cursitor Street hat mich geschnappt und schreibe Dir dies aus seinem vergoldeten Prachtzimmer – dasselbe, wo ich schon vor zwei Jahren gewesen bin. Miss Moss hat mir den Tee gebracht, und sie ist sehr fett geworden und ihre Strümpfe zogen wie immer Wasser.
Es ist die Sache mit Nathan – hundertfünfzig – mit Unkosten hundertsiebzig. Sei so gut, schick mir mein Schreibzeug und ein paar Kleider – ich bin noch in Tanzschuhen und weiser Krawatte (fast wie Miss Moss' Strümpfe). Siebzig habe ich bei mir. Sobald Du dies erhältst, fahre zu Nathan und biete ihm fünfundsiebzig in bar und bitte ihn, den Wechsel zu verlängern. Sag ihm, daß ich Wein nehmen werde – wir können sowieso etwas Sherry gebrauchen –, aber keine Gemelde, die sind zu teuer.
Wenn er nicht darauf eingeht, so nimm meine Uhr und was Du von Deinen Sachen entbehren kannst und verpfände sie – heute abend müssen wir natürlich die Summe haben. Ich möchte nicht, daß es sich verzögert, weil Morgen ist Sonntag. Die Betten hier sind nicht sehr reinlich, und es könnten auch andere Sachen gegen mich vorliegen. Ich bin froh, daß es nicht der Sonnabend ist, wo Rawdon nach Hause kommt. Gott behüte Dich. In aller Eile Dein
R.C.
PS: Mach schnell und komm.«
Diesen Brief versiegelte Rawdon mit einer Siegelmarke und schickte ihn durch einen der Boten, die stets in der Nähe des Hauses Moss herumlungerten, ab. Nachdem er ihn hatte weggehen sehen, begab er sich in den Hof hinaus und rauchte dort trotz der Eisenstangen über seinem Kopf seine Zigarre mit leidlicher Ruhe. Mr. Moss hat nämlich seinen Hof wie einen Käfig vergittern lassen, damit die Herren, die bei ihm wohnen, nicht etwa den Einfall bekommen, seiner Gastfreundschaft zu entfliehen.
Er rechnete sich aus, daß Becky spätestens in drei Stunden kommen und ihm die Gefängnistür öffnen würde, und er verbrachte diese Zeit ziemlich munter mit Rauchen, Zeitunglesen und Plaudern im Kaffeezimmer. Mit einem Bekannten, Hauptmann Walker, der zufällig auch da war, spielte er dann einige Stunden mit ungefähr gleichem Glück auf beiden Seiten um Sixpencestücke.
Aber der Tag verging, und kein Bote kam zurück, keine Becky. Mr. Moss rief zur festgesetzten Zeit, um halb sechs Uhr zur »Tabbel de hotte«, bei der sich die Bewohner des Hauses, die sich das Bankett leisten konnten, in dem vorhin erwähnten prächtigen Vorderzimmer trafen, das neben Mr. Crawleys zeitweiliger Unterkunft lag. Miss Moss erschien ohne die Lockenwickel des Morgens, und Mrs. Moss bewirtete ihre Gäste mit einer erstklassigen gekochten Hammelkeule und Rüben. Der Oberst aß jedoch mit sehr wenig Appetit. Der Bitte, eine Flasche Champagner für die Gesellschaft zu spendieren, kam er nach. Die Damen tranken auf sein Wohl, und Mr. Moss prostete ihm zu, so höflich er konnte.
Mitten in diesem Mahl ertönte jedoch die Türglocke. Der junge Moss mit den roten Haaren erhob sich mit den Schlüsseln und öffnete. Als er zurückkam, berichtete er dem Oberst, daß der Bote mit einem Beutel, einem Schreibpult und einem Brief zurückgekommen sei, und übergab alles. »Keine Umstände,
Weitere Kostenlose Bücher