Jahrmarkt der Eitelkeit
selbstsüchtigen Gedanken und betete still um Stärke zur Erfüllung ihrer Pflicht.
Sie beschloß, mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft ihren alten Vater glücklich zu machen. Sie plackte und mühte sich ab, flickte und stopfte, sang und spielte Puff, las aus der Zeitung vor, kochte für den alten Sedley, ging mit ihm in den Kensington Gardens oder auf den Bromptoner Straßen spazieren, lauschte seinen Geschichten mit nimmermüdem Lächeln und liebevoller Heuchelei oder saß sinnend und in ihre eigenen Gedanken und Erinnerungen versunken neben ihm, wenn sich der schwache, zänkische Alte auf den Gartenbänken sonnte und von seinen Sorgen und dem ihm angetanen Unrecht brabbelte. Wie traurig und unbefriedigend waren die Gedanken der Witwe! Die Kinder, die auf den breiten Wegen und Böschungen des Gartens herumtollten, erinnerten sie an George, den man ihr entrissen hatte; auch der erste George war ihr genommen worden. In beiden Fällen war ihre egoistische, schuldige Liebe zurechtgewiesen und bitter bestraft worden. Sie bemühte sich, zu glauben, daß sie mit Recht auf diese Weise gestraft worden sei. Sie war ja eine so elende, böse Sünderin. Sie stand ja ganz allein auf der Welt.
Ich weiß, daß der Bericht von solch einer einsamen Gefangenschaft unerträglich langweilig ist, wenn er nicht durch heitere oder humoristische Vorfälle belebt wird – zum Beispiel einen zärtlichen Kerkermeister oder einen lustigen Festungskommandanten; oder eine Maus, die herauskommt und in Latudes 3 Bart herumspielt; oder einen unterirdischen Gang unter der Burg, den Trenck 4 mit den Fingernägeln und einem Zahnstocher gräbt. Solche belebenden Vorfälle hat der Verfasser in der Erzählung von Amelias Gefangenschaft nicht zu berichten. Stell sie dir in dieser Zeit bitte sehr traurig vor, aber wenn man sie anspricht, stets zu einem Lächeln bereit, in einer sehr niedrigen, armen, um nicht zu sagen, gemeinen Stellung. Sie singt für ihren alten Vater Lieder, bereitet Puddings, spielt Karten, stopft Strümpfe. Es ist nicht so wichtig, ob sie eine Heldin ist oder nicht. Mögen nur du und ich – wenn wir alt, zänkisch und bankrott sind – in unseren letzten Tagen eine gütige weiche Schulter haben, an die wir uns lehnen können, eine zarte Hand, die uns die gichtigen Kissen glättet.
Nach dem Tode seiner Frau schloß der alte Sedley seine Tochter sehr ins Herz, und Amelia fand ihren Trost darin, gegenüber dem Alten ihre Pflicht zu tun.
Wir werden diese beiden Menschen jedoch nicht lange auf einer so niedrigen, armseligen Stufe des Lebens lassen; es waren ihnen noch bessere Tage, zumindest im Hinblick auf weltliches Glück, bestimmt. Wahrscheinlich hat der scharfsinnige Leser schon erraten, wer der dicke Herr war, der in Begleitung unseres alten Freundes Major Dobbin Georgy in der Schule aufsuchte. Es war ein anderer alter Bekannter, der nach England zurückgekehrt war, und zwar zu einem Zeitpunkt, da seinen Verwandten dort seine Gegenwart sehr angenehm sein mußte.
Major Dobbin, dem es schnell gelungen war, von seinem gutmütigen Kommandeur wegen dringender Privatangelegenheiten die Erlaubnis zur Reise nach Madras und von da wahrscheinlich nach Europa zu erhalten, war Tag und Nacht unterwegs gewesen, bis er sein Ziel erreicht hatte, und war mit solcher Geschwindigkeit nach Madras marschiert, daß er mit sehr hohem Fieber dort ankam. Die ihn begleitenden Diener brachten ihn, der schon im Delirium lag, in das Haus des Freundes, bei dem er bis zu seiner Abreise nach Europa hatte wohnen wollen. Man glaubte viele, viele Tage, daß er nie weiter reisen würde als bis zum Friedhof der Sankt-Georgs-Kirche, wo manch tapferer Offizier fern von der Heimat ruht, und wo die Truppe eine Salve über sein Grab feuern würde.
Als der arme Junge sich hier im Fieber herumwarf, konnten ihn die Krankenwärter von Amelia phantasieren hören. Der Gedanke, sie nie wiederzusehen, verdüsterte seine lichten Stunden. Er glaubte, sein letzter Tag sei gekommen, und traf feierliche Vorbereitungen für das Scheiden. Er brachte seine Angelegenheiten in dieser Welt in Ordnung und hinterließ sein kleines Vermögen denjenigen, denen er am meisten wohlzutun wünschte. Der Freund, in dessen Haus er wohnte, beglaubigte das Testament. Er wollte mit einer kleinen Kette aus braunem Haar, die er um den Hals trug, begraben werden. Er hatte sie, um die Wahrheit zu sagen, von Amelias Zofe in Brüssel erhalten, als man der Witwe während des Fiebers, das sie nach George
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