Jahrmarkt der Eitelkeit
den Chevalier de Raff.
Als Becky Brüssel verließ, schuldete sie – das ist die traurige Wahrheit – Madame de Borodino die Pension für drei Monate. Dies und das Spielen und Trinken und den Kniefall vor Ehrwürden Mr. Muff, dem anglikanischen Geistlichen, um Geld von ihm zu borgen, und ihr Schmeicheln und Kokettieren mit Mylord Noodle, Sohn Sir Noodles und Zögling von Ehrwürden Mr. Muff, den sie oft in ihre Privaträume mitnahm und dem sie dann im Ecarté große Summen abgewann – all das und hundert andere Schurkenstücke berichtet die Gräfin Borodino jedem Engländer, der in ihre Pension kommt, und erklärt, Madame Rawdon sei nicht besser als eine Viper.
So schlug unsere kleine Wanderin ihre Zelte in vielen Städten Europas auf, und rastlos wie Odysseus oder Bamfylde Moore Carew 2 reiste sie umher. Ihr Hang zur Unsolidität wurde täglich auffallender. Es dauerte nicht lange, und sie wurde ein echter Bohemien und gesellte sich zu Leuten, bei deren Anblick uns schon die Haare zu Berge stehen würden.
Jede europäische Stadt von einiger Bedeutung hat ihre kleine Kolonie von englischen Taugenichtsen – Männer, deren Namen Mr. Hemp, der Gerichtsbeamte, in bestimmten Abständen im Gerichtshof verliest. Oft sind es junge Leute aus sehr guter Familie, nur daß die sie verstoßen hat. Sie besuchen Billardzimmer und Kneipen und sind bei ausländischen Rennen und an Spieltischen zu finden. Sie bevölkern die Schuldgefängnisse – trinken und prahlen – prügeln sich und lärmen – prellen die Zeche – duellieren sich mit französischen und deutschen Offizieren – betrügen Mr. Spooney beim Ecarté – verschaffen sich Geld und fahren in einer prächtigen offenen Kutsche nach Baden – versuchen ihre unfehlbaren Kartentricks und lungern mit leeren Taschen um die Spieltische herum, schäbige Prahler, bettelarme Stutzer, bis es ihnen gelingt, einen jüdischen Bankier mit einem falschen Wechsel zu betrügen oder noch einen Mr. Spooney zu finden, den sie ausnehmen können. Der Wechsel von Glanz und Elend bei diesen Leuten bietet einen seltsamen Anblick. Ihr Leben muß stets sehr aufregend sein, Becky – sollen wir es gestehen? – verfiel dieser Lebensweise, und nicht mit Widerwillen. Sie zog mit diesen Bohemiens von Stadt zu Stadt. Die glückliche Mrs. Rawdon war an jedem Spieltisch in Deutschland bekannt. Sie führte einen gemeinsamen Haushalt mit Madame de Cruchecassée in Florenz. Aus München soll sie ausgewiesen worden sein, und mein Freund, Mr. Frederick Pidgeon, behauptet, man habe ihn in ihrem Haus in Lausanne betrunken gemacht und darauf habe er achthundert Pfund an Major Loder und den ehrenwerten Mr. Deuceace verloren. Sie sehen, wir fühlen uns verpflichtet, einiges von Beckys Lebenslauf mitzuteilen; von diesem Abschnitt jedoch ist es am besten, sowenig wie möglich zu berichten.
Wenn Mrs. Crawley in besonders mißlicher Lage war, soll sie hier und da Konzerte und Musikunterricht gegeben haben. Auf jeden Fall hat eine Madame de Raudon in Wildbad, begleitet von Herrn Spoff, dem ersten Pianisten des Hospodars 3 von der Walachei, eine musikalische Matinee gegeben; und mein kleiner Freund Mr. Eaves, der jedermann kannte und überall gewesen war, erzählte immer wieder, daß 1830, als er in Straßburg war, eine gewisse Madame Rebecque in der Oper »Die weiße Dame« 4 auftrat und einen ungeheuren Theaterskandal verursachte. Das Publikum zischte sie von der Bühne, teilweise wegen ihrer Unfähigkeit, hauptsächlich aber wegen der unbesonnenen Sympathiekundgebungen einiger Personen im Parkett (wo die Offiziere der Garnison saßen), und Eaves meinte ganz sicher, die unglückliche Debütantin sei niemand anders als Mrs. Rawdon Crawley gewesen.
Sie war auf dieser Erde wirklich nichts Besseres als eine Vagabundin. Wenn sie ihr Geld erhielt, so spielte sie; wenn sie es verspielt hatte, so mußte sie zu Kunstgriffen Zuflucht nehmen, um zu leben. Wer weiß, wie und mit welchen Mitteln ihr das gelang? Man will sie sogar einmal in Sankt Petersburg gesehen haben, von der Polizei soll sie aber kurz entschlossen aus dieser Hauptstadt ausgewiesen worden sein. Daher kann das Gerücht, sie sei in Teplitz und später in Wien russische Spionin gewesen, unmöglich wahr sein. Ich habe sogar erfahren, sie habe in Paris eine Verwandte entdeckt, und zwar niemand Geringeres als ihre Großmutter mütterlicherseits, die keineswegs eine Montmorency war, sondern eine abscheuliche alte Logenschließerin in einem Boulevardtheater.
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