Jahrmarkt der Eitelkeit
Belladonna geborene Glandier. Ihr Gemahl, Graf Paolo della Belladonna, sehr bekannt durch seine herrliche Insektensammlung, war schon seit langer Zeit abwesend: als Gesandter beim Kaiser von Marokko.
Als Becky dieses vertraute, erlauchte Gesicht erblickte, wie ordinär kam ihr plötzlich Major Loder vor und wie abscheulich der ewig nach Tabak riechende Hauptmann Rook. Augenblicklich gewann sie die Haltung einer Dame zurück und versuchte auszusehen und sich zu fühlen, als ob sie von neuem in Mayfair wäre. Dieses Weib scheint geistlos und schlechtgelaunt zu sein, dachte sie. Ich glaube bestimmt, daß sie ihn nicht unterhalten kann. Nein, er muß sich bei ihr langweilen – das hat er bei mir nie getan. Hundert rührende Hoffnungen, Befürchtungen und Erinnerungen klopften in ihrem kleinen Herzen, als sie mit strahlenden Augen (das Rouge, das sie bis zu den Augenlidern auftrug, ließ sie funkeln) den hohen Adligen ansah. An Abenden, wo er mit dem Hosenbandorden auftrat, legte Lord Steyne auch sein großartigstes Benehmen an und sah aus und sprach wie der Fürst, der er war. Becky bewunderte ihn, wie er leicht, stolz und majestätisch lächelte. Ah, bon Dieu, was für ein angenehmer Gesellschafter war er doch, was für einen brillanten Witz, welch köstliche Unterhaltungsgabe, welch großartiges Benehmen er doch hatte! Und das hatte sie eingetauscht gegen Major Loder, der nach Zigarren und Schnaps duftete, und Hauptmann Rook mit seinen Pferdestallwitzen und seiner Boxersprache. Mal sehen, ob er mich erkennt, dachte sie. Lord Steyne scherzte gerade mit einer sehr vornehmen Dame an seiner Seite, als er aufsah und Becky erblickte.
Sie zitterte am ganzen Körper, als sich ihre Augen trafen; dabei setzte sie ihr schönstes Lächeln auf und machte ihm einen kleinen, schüchternen, flehenden Knicks. Er starrte sie offenen Mundes eine Minute lang entsetzt an, wie Macbeth, als er Banquos Geist an seiner Tafel erblickt 6 , bis sie der schreckliche Major Loder hinwegzog.
»Kommen Sie ins Speisezimmer, Mrs. Rawdon«, sagte dieser Herr. »Wenn ich die Pomadenhengste da drin einhauen sehe, bekomme ich auch Appetit. Kommen Sie, wir wollen den Champagner des Alten noch einmal versuchen.« Becky glaubte allerdings, der Major habe schon etwas zuviel davon.
Am nächsten Tage ging sie auf dem Pinciushügel, dem Hyde Park der römischen Müßiggänger, spazieren, vielleicht in der Hoffnung, Lord Steyne wiederzusehen. Sie traf dort jedoch einen anderen Bekannten, Monsieur Fiche, den treuen Diener des Lords, der mit einem vertraulichen Nicken auf sie zukam und mit einem Finger an den Hut tippte.
»Ich wußte, daß Madame hier ist«, sagte er. »Ich bin ihr vom Hotel aus gefolgt. Ich habe Madame einen Rat zu geben.«
»Von Marquis von Steyne?« fragte Becky unter Aufbietung aller ihrer Würde, von Hoffnungen und Erwartungen erregt.
»Nein«, erwiderte der Diener. »Er kommt von mir. Rom ist sehr ungesund.«
»Nicht zu dieser Jahreszeit, Monsieur Fiche. Erst nach Ostern.«
»Ich erkläre, Madame, es ist auch jetzt ungesund. Ein paar Leute können immer Malaria bekommen. Der verfluchte Sumpfwind fordert zu jeder Jahreszeit seine Opfer. Sehen Sie, Madame Crawley, Sie sind stets ein bon enfant 7 gewesen, und ich nehme Anteil an Ihnen, parole d'honneur 8 ! Lassen Sie sich warnen! Ich sage Ihnen, verlassen Sie Rom, oder Sie werden krank werden und sterben.«
Becky lachte, allerdings vor Zorn und Wut. »Was, mich armes Wesen ermorden?« rief sie. »Wie romantisch! Hat der Lord Meuchelmörder als Reisediener und Dolche in seinem Packwagen? Pah! Ich werde bleiben, und wenn auch nur, um ihn zu quälen. Ich habe auch Leute, die mich verteidigen werden, solange ich hier bin.«
Nun war es an Monsieur Fiche, zu lachen.
»Sie verteidigen!« rief er. »Aber wer? Der Major, der Hauptmann? Jeder von diesen Spielern, mit denen Madame Bekanntschaft pflegt, würde Sie für hundert Louisdor umbringen. Wir wissen Dinge von Major Loder (der ebensowenig Major ist, wie ich Marquis bin), die ihn auf die Galeeren bringen würden oder noch Schlimmeres. Wir wissen alles und haben Freunde überall. Wir wissen, mit wem Sie in Paris zusammen waren und was für Verwandte Sie dort gefunden haben. Ja, Madame, Sie mögen große Augen machen, aber es stimmt. Wie kommt es, daß kein Gesandter auf dem Kontinent Madame empfangen hat? Madame hat jemanden beleidigt, der niemals vergibt – dessen Wut sich verdoppelte, als er Sie sah. Gestern abend, als er nach Hause kam,
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