Jahrmarkt der Eitelkeit
benahm er sich wie ein Wahnsinniger. Madame de Belladonna hat ihm Ihretwegen eine Szene gemacht und einen ihrer Wutanfälle gehabt.«
»Ach so, Madame de Belladonna!« meinte Becky ein wenig erleichtert, denn die Mitteilung von eben hatte sie doch erschreckt.
»Nein – sie spielt keine Rolle – sie ist immer eifersüchtig. Ich sage Ihnen, es war der gnädige Herr. Sie taten nicht gut daran, sich ihm zu zeigen, und wenn Sie hierbleiben, dann werden Sie es bereuen. Denken Sie an meine Worte. Gehen Sie. Da ist Mylords Wagen« – und er ergriff Becky am Arm und zog sie in eine Allee des Gartens hinein, als Lord Steynes wappenschimmernde Kutsche, gezogen von unschätzbar teuren Pferden, herangedonnert kam. Neben Madame de Belladonna, der dunklen verdrossenen Schönheit mit einem Wachtelhündchen im Schoß und einem weißen Schirm über dem Kopf, lehnte totenblaß mit gespenstischem Blick der alte Lord Steyne. Haß, Zorn und Begierde vermochten seine Augen ab und zu noch zu beleben. Gewöhnlich aber waren sie tot und schienen es müde zu sein, in eine Welt zu blicken, deren Freuden und Schönheiten für den zerrütteten lasterhaften Alten ihren Reiz verloren hatten.
»Der gnädige Herr hat sich von der Erschütterung jener Nacht nie mehr erholt, nie«, flüsterte Monsieur Fiche Mrs. Crawley zu, als der Wagen vorüberschoß und sie ihm aus dem schützenden Gebüsch nachblickte. Das ist auf jeden Fall noch ein Trost, dachte Becky.
Ob nun der Marquis wirklich Mordabsichten gegen Mrs. Becky hegte, wie Monsieur Fiche erklärt hatte (nach dem Tod seines Herrn kehrte er übrigens in sein Vaterland zurück und lebt dort sehr geachtet, nachdem er von seinem Fürsten den Titel eines Baron Ficci gekauft hat), und ob bloß das Faktotum sich weigerte, etwas mit dem Mord zu tun zu haben, oder ob er einfach den Auftrag hatte, Mrs. Crawley aus der Stadt zu verscheuchen, wo der Lord den Winter zubringen wollte, da ihr Anblick dem hohen Adligen sehr unangenehm sein würde – dies ist eine Frage, die niemals geklärt worden ist. Die Drohung wirkte jedoch bei der kleinen Frau, und sie machte keine Versuche mehr, sich ihrem alten Gönner aufzudrängen.
Jeder kennt das traurige Ende dieses Edelmannes, das ihn zwei Monate nach der französischen Revolution von 1830 in Neapel ereilte. Der sehr ehrenwerte George Gustavus Marquis von Steyne, Graf von Gaunt und Schloß Gaunt, Peer im irischen Adel, Viscount Hellborough, Baron Pitchley und Grillsby, Ritter des Hosenbandordens, des Goldenen Vlieses von Spanien, des russischen Sankt-Nikolaus-Ordens erster Klasse, des türkischen Halbmondordens, erster Lord des Haarpuderkabinetts und Kammerherr der Hintertreppe, Oberst der Gauntschen Miliztruppen des Königs, Vorstandsmitglied des Britischen Museums, Prior des Trinity-Hauses, Vorsteher der Weißen Mönche und Dr. jur. civ., starb nach einer Reihe von Schlaganfällen, die, nach Ansicht der Zeitungen, der Kummer über den Sturz des französischen Thrones bewirkt hatte.
In einer Wochenschrift erschien eine beredte Aufstellung seiner Tugenden, seiner Großmut, seiner Talente und seiner guten Taten. Seine Gefühle für das erlauchte Haus der Bourbonen und seine Liebe zu ihnen, mit denen er verwandt zu sein angab, ließen ihn das Unglück seiner hohen Vettern nicht überleben. Seinen Körper begrub man in Neapel, aber sein Herz – das Herz, das stets nur in edlem und großmütigem Bestreben schlug, wurde in einer silbernen Urne nach Schloß Gaunt gebracht. »Mit ihm«, erklärte Mr. Wagg, »haben die Armen und die schönen Künste einen wohltätigen Gönner, die Gesellschaft eine ihre glänzendsten Zierden und England einen seiner erhabensten Patrioten und Staatsmänner verloren« und so weiter und so fort.
Sein Testament brachte viel Streit mit sich. Es wurde versucht, Madame de Belladonna den unter dem Namen Judenaugen-Diamant berühmten Juwel zu entreißen, den der Lord stets am Zeigefinger getragen hatte und den sie ihm nach seinem beklagenswerten Hinscheiden abgezogen haben sollte. Sein vertrauter Freund und Diener Monsieur Fiche bewies jedoch, daß der Marquis der besagten Madame de Belladonna den Ring zwei Tage vor seinem Tod geschenkt hatte, ebenso wie die Banknoten und Juwelen, die neapolitanischen und französischen Staatspapiere und andere Dinge, die sich in dem Sekretär des Lords fanden und die seine Erben von der beleidigten Frau zurückforderten.
Fußnoten
1 in der griechischen Sage eine Meerjungfrau, die durch wunderbaren Gesang
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