Jahrmarkt der Eitelkeit
unterbrechen wollen, war es aber überdrüssig, auf dem engen Treppengang hin und her zu gehen und sich von den Dachsparren den Flor vom Hut fegen zu lassen. Dieser Raum steht allen Besuchern vom »Elefanten« zur Verfügung und ist stets in Rauchwolken gehüllt. Bier ist allenthalben verschüttet, und auf einem schmutzigen Tisch stehen Dutzende von ebenfalls schmutzigen Messingleuchtern mit Talgkerzen für die Bewohner des Hauses, deren Schlüssel in Reih und Glied über den Kerzen hängen. Emmy war errötend durch das Zimmer geeilt (von diesem Raum geht nämlich die Treppe aus), wo sich alle möglichen Leute zusammengefunden hatten: Tiroler Handschuhverkäufer und rumänische Leinwandkrämer mit ihren Packen; Studenten, die sich mit Butterbrot und Fleisch versahen; Müßiggänger, die an den schlüpfrigen biernassen Tischen Karten oder Domino spielten; Gaukler, die sich während ihrer Auftrittspausen erfrischten – kurz, der ganze Schall und Rauch eines deutschen Gasthauses zur Jahrmarktszeit. Der Kellner brachte dem Major wie selbstverständlich einen Krug Bier, und Dobbin zog eine Zigarre heraus und beschäftigte sich mit diesem schädlichen Gewächs und einer Zeitung, bis sein Schützling herabkommen und ihn wieder mit Beschlag belegen würde.
Bald darauf kamen auch Max und Fritz sporenklirrend die Treppe herab, die Mütze schief auf dem Kopf, mit ihren prächtig mit Wappen und Quasten verzierten Pfeifen. Sie hingen den Schlüssel von Nummer 90 ans Brett und riefen nach einer Portion Butterbrot und Bier. Sie ließen sich neben dem Major nieder und begannen ein Gespräch, das er gezwungenermaßen zum großen Teil mit anhören mußte. Es fielen hauptsächlich Worte wie »Fuchs« und »Philister«, und es drehte sich um Schlägereien und Trinkgelage in der benachbarten Universität von Schoppenhausen. Von diesem berühmten Sitz der Gelehrsamkeit waren sie gerade im Eilwagen gekommen, anscheinend in Gesellschaft Beckys, um den Vermählungsfeierlichkeiten von Pumpernickel beizuwohnen.
»Die kleine Engländerin scheint en bays de gonnaissance 2 zu sein«, sagte Max, der Französisch konnte, zu seinem Kameraden Fritz. »Nachdem der fette Großvater fort war, kam eine hübsche kleine Landsmännin. Ich habe gehört, wie sie zusammen im Zimmer der kleinen Frau geschnattert und geheult haben.«
»Wir müssen noch Karten zu ihrem Konzert kaufen«, meinte Fritz. »Hast du Geld, Max?«
»Pah!« erwiderte der andere »Das Konzert ist ein Konzert in nubibus 3 . Hans hat erzählt, sie habe schon einmal eins in Leipzig angekündigt, und die Burschen hätten viele Karten gekauft; aber sie ist abgereist, ohne zu singen. Gestern im Wagen hat sie gesagt, ihr Pianist sei in Dresden krank geworden. Ich glaube nicht, daß sie überhaupt singen kann. Sie hat genauso eine krächzende Stimme wie du, du prahlerischer Säufer.«
»Sie ist krächzend, das stimmt; ich habe sie gehört, wie sie eine schreckliche englische Ballade aus dem Fenster gesungen hat, die ›Die Ros‹ an meinem Fensterlein' hieß.«
»Saufen und Singen verträgt sich nicht«, bemerkte Fritz mit der roten Nase, der offensichtlich den erstgenannten Zeitvertreib vorzog. »Nein, du sollst keine Karte von ihr kaufen, sie hat gestern abend Geld beim Trente-et-quarante gewonnen. Ich habe sie beobachtet. Sie hat einen kleinen englischen Jungen für sich spielen lassen. Wir wollen dein Geld lieber verspielen oder fürs Theater ausgeben oder ihr französischen Wein und Kognak im Aureliusgarten spendieren. Aber Karten wollen wir nicht kaufen. Was meinst du? – Noch einen Krug Bier!«
Und nachdem sie nacheinander ihren blonden Schnurrbart in die schale Flüssigkeit getaucht hatten, zwirbelten sie ihn und stolzierten hinaus auf den Jahrmarkt.
Dem Major, der sah, wie der Schlüssel von Nummer 90 an den Nagel gehängt wurde, und der die Unterredung der beiden jungen Universitätsburschen gehört hatte, fiel es nicht schwer, zu begreifen, daß sich ihr Gespräch um Becky drehte. Der kleine Satan arbeitet wieder mit den alten Tricks, dachte er lächelnd. Er rief sich die vergangenen Zeiten ins Gedächtnis zurück, wo er ihren verzweifelten Flirt mit Joseph und das komische Ende dieses Abenteuers miterlebt hatte. Er hatte später mit George oft darüber gelacht, bis wenige Wochen nach seiner Heirat, als der junge Osborne sich ebenfalls in den Netzen der kleinen Circe verfangen zu haben schien und sich in einer Weise mit ihr einließ, die der andere zwar argwöhnte, aber lieber
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