Jahrmarkt der Eitelkeit
studiert die Kriegskunst droben in seinem einsamen Zimmer. Und ihre freundlichen Gedanken eilten dahin, als seien sie Engel mit Flügeln. Sie flogen am Fluß entlang nach Chatham und Rochester und versuchten in die Kaserne zu dringen, in der George war.
Alles in allem war es, glaube ich, ganz gut, daß die Tore geschlossen waren und die Schildwache niemanden einließ, so daß der arme, kleine Engel im weißen Gewande die Lieder nicht hören konnte, die die jungen Burschen dort beim Whiskypunsch grölten.
Am Tag nach der kleinen Meinungsverschiedenheit in der Chatham-Kaserne traf der junge Osborne Anstalten, zur Stadt zu fahren, um zu beweisen, daß er wirklich zu seinem Wort stehe, und Hauptmann Dobbins Beifall blieb nicht aus.
»Ich hätte ihr gern ein kleines Geschenk gemacht«, vertraute Osborne seinem Freunde an, »ich habe bloß kein Geld mehr, bis mein Vater mit dem Taschengeld herausrückt.«
Dobbin aber wollte nicht, daß Osbornes Gutmütigkeit und Großmut gehemmt werden sollten, und gab ihm daher ein paar Pfundnoten, die er, nach einigem anfänglichen Weigern, auch annahm.
Ich vermute, er hätte für Amelia bestimmt etwas recht Hübsches gekauft, hätte er nicht beim Aussteigen in der Fleet Street in einem Juweliergeschäft eine schöne Busennadel erblickt, deren Anziehungskraft er nicht zu widerstehen vermochte; und als er sie bezahlt hatte, hatte er nur noch wenig Geld übrig, um seiner Großmut freien Lauf zu lassen. Doch es machte nichts, denn wir können uns darauf verlassen, daß es nicht Geschenke waren, die Amelia von ihm erwartete. Als er zum Russell Square kam, leuchtete ihr Gesicht auf, als ob er der Sonnenschein gewesen wäre. Die kleinen Sorgen, Ängste, Tränen, schüchternen Befürchtungen, ruhelosen Einbildungen wer weiß wie vieler Tage und Nächte waren unter dem Einfluß jenes bekannten, unwiderstehlichen Lächelns im Nu vergessen. Er strahlte sie an, als er in der Salontür stand – ein Gott in seiner Pracht und mit seinem ambrosiaduftenden Backenbart. In Sambos Gesicht strahlte ein teilnehmendes Grinsen, als er Hauptmann Osborne meldete (er hatte den jungen Offizier um eine Stufe befördert). Der Diener sah das kleine Mädchen zusammenfahren und errötend von ihrem Beobachtungsposten am Fenster aufspringen und zog sich zurück. Sobald die Tür geschlossen war, flog sie Leutnant George Osborne ans Herz, als ob dieses das einzige richtige Nest für sie wäre. Ach, du armes, unruhiges Seelchen! Der schönste Baum des Waldes mit dem geradesten Stamme, den stärksten Ästen und dem dichtesten Laub, wo du dein Nest bauen und girren willst, kann gezeichnet sein – wofür, weißt du – und bald zu Boden krachen. Was für ein altes, altes Gleichnis ist das zwischen Mensch und Baum!
George küßte sie indessen recht freundlich auf die Stirn und die glänzenden Augen und war recht gnädig und gut, und sie hielt seine diamantene Busennadel (die sie noch nie zuvor an ihm gesehen hatte) für den schönsten Schmuck der Welt.
Der aufmerksame Leser, dem das frühere Benehmen unseres jungen Leutnants nicht entgangen ist und der unsere Berichte von dem kleinen Wortwechsel zwischen ihm und Hauptmann Dobbin noch im Gedächtnis hat, ist wohl zu gewissen Schlüssen hinsichtlich des Charakters von Mr. Osborne gekommen. Ein zynischer Franzose hat einmal gesagt, daß zu einem Liebeshandel zwei gehörten: einer, der liebt, und einer, der sich herabläßt, geliebt zu werden. Gelegentlich ist die Liebe wohl auf seiten des Mannes, andere Male auf seiten der Frau. Vielleicht hat auch schon vorher manch Verliebter Gefühlskälte für Bescheidenheit, Dummheit für jungfräuliche Zurückhaltung, bloße Leere für Schüchternheit und, kurz gesagt, eine Gans für einen Schwan gehalten. Vielleicht hat auch schon die eine oder die andere meiner verehrten Leserinnen einen Esel mit dem Glanze und der Glorie ihrer Phantasie umgeben, seine Stumpfheit als männliche Einfachheit bewundert, seine Selbstsucht als männliche Überlegenheit und ihn so behandelt wie die glänzende Fee Titania einen gewissen Weber aus Athen 3 . Ich glaube solche Komödien der Irrungen in der Welt schon beobachtet zu haben. Sicher ist jedenfalls, daß Amelia ihren Liebhaber für einen der tapfersten und glänzendsten Männer im ganzen englischen Reich hielt; und es ist wohl möglich, daß Leutnant Osborne das gleiche dachte.
Er war etwas wild, aber wie viele andere junge Männer sind es auch! Und lieben die Mädchen einen Schurken nicht mehr
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