Jahrmarkt der Unsterblichkeit
wurden, konkurrierende Firmen gekauft oder ruiniert wurden und in denen das Bascombe-Reich wuchs.
Aus den Zeitungsberichten ging hervor, daß Ike Bascombe die Bibel von der Genesis bis zur Geheimen Offenbarung zitieren konnte, es auf der andern Seite jedoch fertigbrachte, einem Mann finanziell das Wasser abzugraben oder ihn verhungern zu lassen.
Hannah wuchs in einem Land auf, das dem Pionier noch weit offenstand, einem Land, das unbegrenzte Möglichkeiten und die Gelegenheit bot, sie zu nutzen — den letzten mochte dann der Teufel holen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war niemals die Frage aufgetaucht, daß Hannah eines Tages heiraten und ihren Vater verlassen könnte. In keiner der zahlreichen Zeitungsgeschichten erschien auch nur die Andeutung, daß einmal ein Mann in ihr Leben getreten war. Als Ike Bascombe im Jahr 1910 im Alter von sechsundachtzig starb, war Hannah ein lediges Mädchen von vierunddreißig und mittlerweile gar nicht mehr imstande, irgendeinen Mann als möglichen Ersatz für ihren Vater zu betrachten.
Es dauerte etwa fünfundzwanzig Jahre, ehe es den Leuten, deren Aufgabe es ist, die Öffentlichkeit durch allerlei Geschichten für das Tun und Lassen der Reichen zu interessieren, dämmerte, daß «Eisen-Ike» zwar schon lange das Zeitliche gesegnet hatte, daß sein Freibeutergeist und sein Erwerbssinn jedoch immer noch auf Erden weilten. Es zeigte sich deutlich, daß das Transport-, Bergwerks- und Bauholzreich, das er seiner einzigen Tochter hinterlassen hatte, keineswegs kleiner geworden oder statisch geblieben war, sondern sich stetig erweitert hatte. Hannah brachte die Ernten in den Weingärten ihres Vaters ein.
Allein auf sich gestellt, hatte sie sich all die Jahre gegen die größte von allen amerikanischen Finanziersgenerationen durchgesetzt. Sie war kühn, aggressiv, schlau und erbarmungslos, mit jedem Zug des Spiels genauestens vertraut, und glänzte besonders darin, daß sie ihre Verbindungen mit einem Kauf, einer Fusion oder einem Trust so lange verheimlichte, bis die Falle zugeschnappt war. Gegen Ende der zwanziger Jahre hatte sie das Vermögen ihres Vaters reichlich vervierfacht und ihre Fühler fast bis in jeden Winkel der Vereinigten Staaten ausgestreckt.
Sie wurde jedoch erst eine öffentlich bekannte Gestalt, als sie auf den einzigen Feind stieß, den bis zu jener Zeit noch kein Industriemagnat, keine Finanzgruppe hatte schlagen können — auf die Steuergewalt der Regierung. Als die Nachricht von ihren Kämpfen gegen die Besteuerung, die sie für Beschlagnahme- und Strafmaßnahmen hielt, durchsickerte, wurde Hannah Bascombe zu einer Legendengestalt.
Im Jahr 1946, an ihrem siebzigsten Geburtstag, erklärte sich Hannah Bascombe bereit, sich der Presse und den Fotografen zu stellen. Das tat sie einerseits, um den ständigen Versuchen der Reporter, in ihre Zurückgezogenheit einzudringen, ein Ende zu machen, und andrerseits, um ihrer Entschlossenheit Ausdruck zu verleihen, vor dem räuberischen Steuereinnehmer und der neuen Philosophie des unbesonnenen Ausgebens von anderer Leute Geld nicht die Waffen zu strecken.
Damit wurde ein großer Teil der geheimnisvollen Gerüchte um sie zerstreut, denn es stellte sich heraus, daß sie eine Frau war, die ein ziemlich normales Leben in einwandfreier Umgebung führte, ihr Geschäft von einem ruhigen Büro — einer Art Miniaturbörse — aus führte, die sie in ihrem Haus eingerichtet hatte und die mit jeder erdenklichen Art von Nachrichtenverbindungen ausgestattet war. Es wurde sogar bekannt, daß sie gelegentlich einen Abend in der Oper oder im Schauspielhaus in Gesellschaft von Bekannten oder ihrer Sekretärin und Begleiterin verbrachte.
Als dieses Geburtstagsinterview zu einer jährlich wiederkehrenden festen Einrichtung wurde und sie es dazu benutzte, ihren Feinden immer wieder den Kampf anzusagen und zu erklären, daß sie entschlossen sei, sie dadurch zu besiegen, daß sie länger leben werde als sie alle, erhielt sie eine ganz besondere Aura. Mit ihrer Herausforderung: «Ich bin immer noch da; ich lebe immer noch; sie warten nur auf meinen Tod, um mich zu berauben, aber ich werde sie alle überleben», wurde sie etwas wie ein Wahrzeichen für die Presse der Westküste. Es war für eine Zeitung selbstverständlich, Reporter und Fotografen zum «Hannah-Bascombe-Tag» zu schicken. Doch überdies hatte jeder Redakteur einen Nachruf in der Schublade liegen, der dem Sinn nach begann: «Die Erbin Hannah Bascombe, das Finanzgenie, die so
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