Jahrmarkt der Unsterblichkeit
keiner Weise behilflich sein. Wenn das die einzige Antwort auf meine Nachricht ist, dann ist mein Besuch damit beendet. Es tut mir leid.»
Er drehte sich um und begann den Weg, der mehr Nervenkraft und Mut erforderte als alles, was er bisher in seinem Leben getan hatte. Mit genau der rechten Mischung von Entschlossenheit und gekränktem Stolz schritt er die ganze Länge des Zimmers hinunter bis zum Ende des Tisches, wo er rasch Hut, Handschuhe und Stock mit drei sicheren Bewegungen aufnahm, denen man etwas von berechtigtem Unwillen anmerkte, und ging zur Tür.
Erst als er sie bereits geöffnet hatte, drehte er sich um, wie die gewöhnlichste Höflichkeit es vorschrieb, und sagte: «Ich danke Ihnen, Miss Adams. Guten Tag.»
Sie stand neben ihrem Schreibtisch, das Stück Papier noch in der Hand. Sie antwortete nicht. Nun gab es kein Umkehren mehr. Ihm blieb nichts anderes übrig, als wirklich zu gehen. Doch ehe er sich noch bewegen konnte, wurde er von einer Stimme aufgehalten, die von überall rund um ihn her zu kommen schien.
«Warten Sie eine Minute, junger Mann! Ich möchte mit Ihnen sprechen.»
Die Stimme war überraschend und unheimlich in ihrer Lebendigkeit und mit ihrem trockenen Befehl. Es war sonst niemand in dem großen Konferenzraum.
Dann erklang die Stimme wieder und schien von oben, von unten und von allen Seiten zu kommen.
«Miss Adams!»
Das Mädchen blickte unwillkürlich nach oben, wo der Lautsprecher in der Decke eingebaut war, und erwiderte: «Ja, Miss Bascombe?»
«Sie können Mr. Sears zu mir bringen. Ich möchte mit ihm reden.»
«Ja, gern, Miss Bascombe.»
Man hörte ein Klicken, und der Raum war wieder schwer von Schweigen.
Clary Adams sagte: «Wollen Sie mich begleiten, Mr. Sears? Ich bringe Sie zu Miss Bascombe.»
7
Fällt euch Reichtum zu, so hänget das Herz nicht daran.
PSALM 62, 11
Hannah Bascombe war, wie Joe Sears in den Zeitungsarchiven von Los Angeles gelesen hatte, im Jahre 1876 in San Francisco geboren. Ehe er mit Ben-Isaak die Reise nach Norden unternommen hatte, war er allem nachgegangen, was jemals über die exzentrische Erbin gesagt oder geschrieben worden war.
Sie war das einzige Kind von Isaac Gamaliel Bascombe, dem legendären «Eisen-Ike» des Nordwestens. Ihre Mutter, Lanvengro Rydere, eine ehemalige Lehrerin aus Virginia, starb, als Hannah drei Jahre alt war. «Eisen-Ike» selbst war, als er heiratete, fünfzig und doppelter Millionär.
Bascombe war im Jahre 1850 als junger Mann von Massachusetts nach Kalifornien gekommen, also gegen Ende des Goldsturms, und hatte sich nachher mit dem Transportwesen beschäftigt, einem Spiel, wie für ihn geschaffen. Er war ein Pionier, ein Kämpfer, ein Spieler, ein ausgewachsener Industriepirat und — seiner eigenen Ansicht nach — ein frommer Mann, der keinen Tag vergehen ließ, ohne ein Kapitel der Bibel zu lesen. Nach dem frühen Tod seiner Frau waren er und Hannah unzertrennlich. Als sie heranwuchs, entwickelte sich ein ungewöhnliches Verhältnis zwischen Vater und Tochter, für das noch heute genügend Beweise in Gestalt alter Fotografien vorhanden waren, die Sears in den Zeitungsarchiven gefunden hatte.
Auf allen Bildern war «Eisen-Ike» mit Hannah in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung zu sehen. In Nevada war sie ein kleines Kind, das er auf dem Arm trug; an Bord eines Schiffes auf dem Weg nach Nome etwas größer, ihre winzige Hand in seiner riesigen Pranke versteckt; in Oregon ein Mädchen, das vor dem riesigen Baumstumpf einer gefällten Kiefer wie ein Zwerg wirkte oder schüchtern aus dem Führerstand einer Lokomotive mit hohem Schornstein schaute, die ihre erste Fahrt von San Francisco nach Oregon City unternahm.
Die Geschichten stimmten darin überein, daß «Eisen-Ike» mit der gleichen besitzstolzen Liebe an seiner Tochter hing wie an seinen großartigen Unternehmungen und daß sie wiederum ihren Vater mehr als alles andere bewunderte. Ihr Leben, ihre Wünsche, Absichten und Ziele gingen ineinander über, als ob sie ein einziges Wesen wären. Es gab nichts, was Hannah nicht über die Zufälle und Kämpfe in der Finanz, der Politik, über Geld und das Ringen um Macht und Herrschaft in einem immer reicher werdenden Land und seiner Wirtschaft gelernt hätte. Ihr waren die getäfelten und plüschgepolsterten Konferenzsäle nicht fremd, in denen «Eisen-Ike» brüllte oder schmeichelte, drohte oder bluffte und jene sagenhaften Verträge und Truste schloß, in denen Männer reich oder arm
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