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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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berühmtes Geheimnis kennenzulernen?»
    «Nichts», sagte Joe Sears. «Denn Sie haben es selbst bei der Hand.»
    Er stand, während sie ihn forschend betrachtete, auf, ging um ihren Schreibtisch und legte seine Hand auf die große Bibel, die auf dem Pult lag.
    «Hier drin steht es, Miss Bascombe.»
    Sie drehte sich in ihrem Stuhl um und schaute zu ihm auf. «Wovon reden Sie denn nur? Wissen Sie nicht, was die Schrift sagt?»
    Und dann zitierte sie, ohne seine Entgegnung abzuwarten, den zehnten Vers des neunzigsten Psalms: «Unser Leben währet siebzig Jahre.»
    Ihre Stimme hob sich, und es war erstaunlich, wie jugendlich sie klang und wie wenig ihr die Jahre hatten anhaben können: «Und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es führet schnell dahin, als flögen wir davon.»
    «Doch so», sagte Sears, «war es nicht immer.»
    Halb unwillig, halb verwirrt sah sie ihn an. «Was reden Sie denn für einen Unsinn?»
    «Gehen Sie zurück zur Genesis.» In seine Stimme schlich sich etwas von der Inbrunst des Missionspredigers im Zelt in Burbank, der ihm zugerufen hatte: Er schlug die schweren Blätter der Bibel zurück bis zu den Eingangskapiteln. «Blicken Sie in die Genesis und betrachten Sie die Patriarchen, deren Lebensspanne nicht siebzig, sondern acht- oder neunhundert Jahre auf Erden betrug, Adam und Seth und Enos, Mahalaleel und Jared, Enoch und Methusalah...» Hier hielt er inne, um aus dem fünften Kapitel zu lesen: « Danach kamen Noah und die Geschlechter Noahs, die mit Sem, Ham und Japhet begannen.»
    Sears hatte den Eindruck, daß Hannah Bascombe jetzt aufrichtig belustigt war, so, wie man sich in Gegenwart eines harmlosen Irren fühlt, dessen Mätzchen eine erfrischende Abwechslung im prosaischen Alltag bieten.
    «Mein lieber Mann», sagte sie, «als ich ein kleines Mädchen war, ließ mein Vater mich die aus der Genesis auswendig lernen. Aber was hat das alles mit mir zu tun?»
    Jetzt fühlte sich Sears wie jener Evangelist, während er in der halb vom Tages-, halb vom Lampenlicht erhellten Bibliothek stand, die Hand auf die dicke, abgegriffene Bibel gestützt, auf die Heilige Schrift, die die Welt bewegt hatte.
    «Wie wäre es, wenn Sie Ihre Jahre verdoppeln könnten? Nehmen Sie an, Sie könnten die Philister, die nur darauf warten, Ihre Weinberge zu zertrampeln, überlisten, indem Sie sie alle überleben — genauso wie Mahalaleel, Kenan, Jared und Enoch — Geschlecht um Geschlecht durch viele Jahrhunderte, bis keine lebende Seele sich mehr erinnern kann, wann Sie geboren wurden, und nicht einmal die heute noch ungeborenen Generationen der Zukunft hoffen dürften, noch am Leben zu sein, wenn Sie sterben.»
    Abermals flammte ein Licht auf der Tafel auf, doch von einer andern Farbe. Mechanisch öffnete sich ihre rechte Faust und berührte einen Perlmutterknopf. Links hinter ihr öffnete sich eine in die Wandtäfelung eingelassene Tür, und herein trat ein junger Mann in gestreiften Hosen und Cutaway. Er hatte einen Stapel Papiere in der Hand. Er beachtete Sears nicht, trat an Hannahs Schreibtisch, legte die Blätter vor sie hin, beugte sich vor und sprach leise mit ihr.
    Durch die offene Tür erhaschte Sears einen Blick auf helle Neonbeleuchtung und einen mit Menschen gefüllten Raum, dazu der klappernde Ton von Fernschreibern, Schreibmaschinen und Telegrafen. Ganz in der Nähe, und doch von der Stille und Würde der Bibliothek abgetrennt, lief das Finanzreich Hannah Bascombes auf vollen Touren.
    Der tadellose junge Mann nickte mehrmals zustimmend, nahm die Papiere auf und ging rasch durch die Tür, durch die er eingetreten war, wieder hinaus. Als er sie hinter sich geschlossen hatte, war die Stille wiederhergestellt. Das brausende Maklerbüro, das sich vorübergehend geöffnet hatte, war weggeschlossen, und Hannah Bascombe kehrte zu dem Gespräch zurück, das ihr jetzt ein sündhaftes Vergnügen zu bereiten schien.
    «Nun, junger Mann, was hat der ganze Unsinn zu bedeuten, von dem Sie hier reden? Clary, ich glaube, du hattest recht. Der Mann ist völlig verrückt.»
    Merkwürdigerweise kränkte Joe Sears diese

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