Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Damit bin ich zu weit gegangen. Ich möchte sie nicht zu diesem lächerlichen Unternehmen verleiten. Und außerdem ist es jetzt, da Clary alles weiß, ohnehin aus. Wir können nicht weitermachen.»
Sears sagte: «Ja, das stimmt. Jetzt, da Clary alles weiß...» Er wirkte niedergeschlagen, wie er sich nun rittlings auf einen Stuhl setzte und die Arme auf die Lehne stützte. Dann jedoch begann er zu sprechen, leise und gelassen, und seine Stimme hatte zu Anfang sogar eine gewisse trügerische Wärme. Er sagte: «Dein Gewissen gefällt mir, Ben-Isaak. Pflege es, mein Junge, denn es gehört zum größten Luxus auf der Welt, sich eins leisten zu können.»
Der Junge erwiderte schroff: «Mein Gewissen ist meine Sache.»
«Ja, natürlich», stimmte Sears zu, «und du mußt auch daran arbeiten. Es ist gar nicht so leicht, sich seine sittliche Redlichkeit auf Kosten eines andern Menschen zu bewahren. Es gehören schon Schneid und ein Herz aus Feuerstein dazu, so ein Schuft zu sein.»
Clary rief: «Hör nicht auf ihn, Ben. Er ist schlecht, verderbt und ohne Mitleid. Er macht alles kaputt.»
Sears lachte heiser. «Schlecht bin ich? Verderbt? Ja, das alles bin ich — aber nicht herzlos.»
Er zündete sich eine Zigarette an und wies damit auf Ben-Isaak. «Sieh dich doch selber an, du edler Musterknabe! Ganz plötzlich bedeutet dir dein lilienweißes Gewissen mehr als diese Frau, die gut zu dir gewesen ist und von der du sagst, du liebtest sie.»
Ben-Isaak wurde rot und wollte antworten, doch Sears donnerte bereits weiter und schnitt ihm das Wort ab: «Geh hinein zu ihr, Parzival, und bekenne morgen in der Frühe Hannah deine Sünden. Genieße die Erregung deiner Redlichkeit, wenn sie vor deinen Augen zerbricht. Zerstöre ihre harmlosen Vorstellungen und zerschmettere ihre Hoffnungen, länger auf Erden zu leben, als ihr zugemessen ist. Beobachte die Tränen der Enttäuschung, der Einsamkeit und Verzweiflung, die aus ihren Augen rinnen, und dann drück zärtlich dein teures Gewissen an dein Herz und wünsch dir, daß sein süßer Duft den Gestank deines Verhaltens betäubt.»
Clary rief bitter: «Wie schlecht Sie sind! Und wie nutzlos, was Sie sagen! Wenn er nämlich Hannah nicht die Wahrheit sagt, werde ich es tun. Ich habe nichts auf dem Gewissen, was Sie entstellen und vergiften könnten. Ich warte schon lange auf diesen Augenblick.»
«Ja, das weiß ich», erwiderte Joe Sears. «Zu lange.»
Clary sah ihn scharf an. «Was meinen Sie damit? Glauben Sie, Sie könnten mich davon zurückhalten, Hannah von einem Mann wie Sie zu befreien, nun, da ich Ben-Isaak als Zeugen habe?»
«Nein. Ich werde Sie nicht hindern. Aber Sie selber werden sich hüten, das zu tun.»
«Ich? Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?»
«Weil Sie feige sind, Miss Clary Adams», erwiderte Sears geradezu. «Sie hätten Hannah am ersten Tag vor mir bewahren können, wenn Sie mir die Tür gewiesen hätten. Sie taten es nicht, weil Ihnen der Schneid dazu fehlte. Sie fürchteten für Ihre Stellung, nachdem ich Sie geblufft hatte. Sie fürchten nur um Ihre Stellung — morgens, mittags und abends.»
Clary rief: «Das ist nicht wahr!» ehe sie erkannte, daß sie bereits in die Verteidigung gedrängt war.
Sears sah sie eine Weile forschend an. «Ach, ist es nicht wahr? Von Ihnen weiß ich alles, Schwester. Sie sind ein Feigling und Drückeberger. Sie haben nie den Mut aufgebracht, dem Leben ins Auge zu sehen. Bei all Ihrem guten Aussehen, Ihrer Persönlichkeit und Ihrem Verstand besitzen Sie nicht den Schneid, den jede Verkäuferin in einem Woolworthladen besitzt, obwohl sie es nur auf zwanzig Dollar die Woche bringt. In Ihrer Seele gibt es weder Liebe noch menschliche Zuneigung, nicht einmal die normalen Gefühle einer gesunden Hündin, weil Sie alle natürlichen Instinkte unterdrückt haben. Das einzige, was geblieben ist, ist die ungeheuerliche Selbstsucht einer Frau, die sich mit Leib und Seele für ein bißchen Sicherheit verkauft hat und die sich nun bis zum Irrsinn fürchtet, weil sie nicht einmal darauf rechnen kann.»
Ben-Isaak stand zornig und drohend auf. «Jetzt ist’s genug, Joe! Noch ein Wort und...»
Sears kämpfte grimmig weiter. «Es würde ihr nichts helfen, wenn du mir das Genick brichst, Ben-Isaak. Sie weiß, daß es die Wahrheit ist.»
Doch mittlerweile hatte sich Clary gefaßt. Sie sagte kalt:*«Ihr Urteil über mich ist nur noch von akademischem Interesse, Mr. Sears. Mit Ihnen und Ihrem jämmerlichen Plan, eine alte Frau zu
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