Jahrmarkt der Unsterblichkeit
auch jetzt eine starke Wirkung auf sie aus. Nach zwei Tagen im Lande war sie bereit, nahezu alles zu glauben.
Sears hatte die Absicht, ihr irgendeine gute «Schau» zu liefern — archäologisch gesprochen — die darauf berechnet war, ihre Habgier zu verstärken und ihr Interesse wachzuhalten, und sie darauf nach Haus zu schicken, da sie ohnehin nicht endlos lange ihrem riesigen Reich und dem Geschäft fernbleiben konnte.
Überaus zufrieden mit sich selbst, überblickte Sears noch einmal die Lage: Clary sein Opfer; Ben-Isaak aus Liebe zu Hannah zum Schweigen gebracht. Er notierte sich im Geist: Hannah würde Ben-Isaak vermutlich mit einem nennenswerten Betrag in ihrem Testament bedenken, er mußte also mit dem Jungen über eine Beteiligung sprechen, da er, Sears, ja schließlich die ganze Sache ausgearbeitet und deshalb einen Anspruch auf einen erheblichen Anteil hatte. Mit Ben-Isaak wurde er jetzt fertig. In seiner Organisation schien es nicht den mindesten Fehler zu geben. Die Situation stand völlig unter seiner Kontrolle.
Das Telefon im Zimmer klingelte. Vermutlich war es Ben-Isaak, den er seit dem vergangenen Abend nicht mehr gesehen hatte. Sears ging hinein und nahm den Hörer auf. Es war Clary. Ihre Stimme klang, als ob sie einer Panik nahe wäre. Sie sagte: «Joe! Kannst du sofort einmal herunterkommen? Ich bin in der Cocktail-Bar.»
Er sagte: «Wird gemacht, Schwester!» und eilte in die verlassene rot-silberne Bar hinunter, wo Clary in einer Ecke saß und sehr ängstlich aussah. Es war zehn Uhr morgens. Er fragte: «Wo fehlt’s denn, Clary? Schwierigkeiten mit Hannah?»
«Nein, es geht um Ben-Isaak. Er ist fort. Ich habe es beim Portier festgestellt. Er ist gestern abend mit seinem Gepäck weggegangen und hat sein Zimmer aufgegeben. Ich merkte es, als ich ihn heute morgen anrufen wollte. Er hat keine Nachricht hinterlassen. Joe, ich habe solche Angst. Was machen wir nun?»
Sears antwortete nicht sofort. So konnte es einem also gehen, nach- dem alles so ausgezeichnet gestanden hatte. Eben noch saß man auf dem Gipfel der Welt, und im nächsten Augenblick zog einem jemand den Stuhl weg. Es war ein geringer Trost, sich der Wendung im Verhältnis zu Clary bewußt zu werden, die sich nun auf ihn stützte und gefragt hatte: «Was machen wir nun?» Wenn der Junge fort war, mußte die ganze «Schau» zusammenbrechen. Sie waren fertig.
Er fragte: «Weiß Hannah es schon?»
Clary schüttelte den Kopf. «Aber wie lange können wir es ihr verheimlichen? Wenn er zum Lunch nicht erscheint, wird sie wissen wollen, wo er ist.» Dann fuhr sie fort: «Ach, Joe, was glaubst du, weshalb er das getan hat?»
Sears sah sie mit einem merkwürdigen Blick an. «Weshalb? Weil er gescheit ist. Und wenn ich nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, mich selber zu loben, hätte ich es kommen sehen müssen. Ich glaubte, ich hätte ihn in die richtige Form gebracht, statt dessen hat er mich zum Narren gehalten. Und schließlich hat er ja auch bekommen, was er wollte — Papiere und Aufnahme in Israel. Weshalb sollte er also bleiben und für einen andern die Kastanien aus dem Feuer holen?»
Clary standen die Tränen in den Augen. «Aber er liebte Hannah doch...»
Sears setzte hinzu: «Und er liebte dich, Veilchenauge. Doch er kam damit nicht weiter, deshalb zog er ordnungsgemäß von dannen. Soweit es um Hannah ging, wollte er es ihr wohl nicht gern selbst sagen. Vermutlich glaubte er, ich würde wieder ein doppeltes Spiel mit ihm treiben, und schob deshalb mir die undankbare Aufgabe zu. Du siehst aus, als wolltest du selber auch gern verschwinden, Clary.»
Sie sagte: «Jetzt ist doch alles aus, nicht wahr?»
Sears nahm sich zusammen. «Nein, zum Teufel noch mal, nichts ist aus! Ich werde versuchen, den Jungen zu finden. Beruhige Hannah und sag ihr, wir seien schnell einer Spur nachgegangen. Solange sie glaubt, Ben-Isaak und ich seien zusammen, wird sie sich ein paar Tage lang keine Sorgen machen.»
Clary lachte plötzlich bitter auf. «Ich vermute, du bereitest alles vor, um selber ebenfalls zu verschwinden.» Sie zuckte die Achseln, doch ihre Augen waren voller Verzweiflung.
Sears sah sie lange forschend an und dachte darüber nach, ob sie recht hatte. Dann griff er über den Tisch und tätschelte leise ihre Hand. «Es könnte schon sein», sagte er, «aber verlaß dich nicht darauf!» Und plötzlich fluchte er: «Verdammt noch mal! Ich wünschte, der Junge hätte mir wenigstens einen Zettel hinterlassen, und wenn
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