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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Gipfel des Gebirges konnte sie nicht sehen, da er ostwärts hinter den beiden vorderen lag. Unter ihr fielen die schneebedeckten Hänge bis zu den Vorhügeln hinab; sie wirkten wie zerdrückte Bettlaken.
    Hannah Bascombe befand sich allein auf dem Gipfel der Welt.
    Die Luft war scharf, doch nicht unerträglich. Nie hatte sie die Sterne in so großer Zahl und so nahe gesehen. Am westlichen Horizont hingen sie niedrig über der dunklen Linie der welligen Hügel, die wie Wogen eines stürmischen, versteinerten Meeres wirkten — die Berge von Galiläa, woher sie gekommen waren. Darüber stand ein großer Stern, viel heller als die andern.
    Sie war jetzt wieder völlig bei sich und wußte, wer sie war und woher sie kam. Hannah Bascombe, Tochter und Erbin des «Eisen-Ike», die reichste Frau der Welt, Eigentümerin von einigen hundert Industrieunternehmungen und Milliarden von Dollars. Sie saß allein auf einem Berg in Syrien und hielt einen runden, glasierten Tiegel in der Hand, der eine bittersüße, aromatische, scharfriechende Substanz enthielt; wenn sie diese aß, besaß sie die unüberwindliche Waffe unbegrenzter Zeit.
    Der Inhalt dieses Tiegels stellte den Gipfel ihrer Wünsche dar. Nichts konnte sich der Erfüllung dieser Wünsche nun noch in den Weg stellen. Wie immer hatte sie gesiegt — und diesmal gegen den Tod selber.
    Doch in diesem höchsten Augenblick ihres Lebens war sie sich plötzlich bewußt, daß sie sich nicht mehr recht erinnerte, welches diese Wünsche waren oder was sie aus der Sicherheit ihrer Villa in San Francisco an diesen einsamen, von Gott heimgesuchten Fleck geführt hatte, wo sie sich nicht mehr verbergen konnte. Sie stand sozusagen nackt auf dem Berg, von den zahllosen Augen des Weltalls gemustert.
    Ihre Gedanken schweiften ab; sie weigerten sich, ihrem Willen zu gehorchen, der sie ordnen und sie sich unterwerfen wollte. Statt dessen wandten sie sich dem Bilderbuch-Stern von Bethlehem zu, den sie als Kind so oft gesehen hatte, mit seinen vier Strahlenbrechungspunkten wie ein Diamant. Dieser dort im Westen ähnelte den Bildern und könnte auch jetzt wohl über Bethlehem leuchten.
    Sie ließ sich von ihrem dahinirrenden Geist führen, wohin es ihm gefiel. Der Stern beschwor abermals Jesus und führte ihn mit seinen Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes bis fast vor ihre Füße, denn der riesige Basaltkegel des Hermon mit seiner Kappe aus ewigem Schnee hatte auf die Verklärungsszene herniedergesehen und war Zeuge der sich sammelnden Wolken, aus denen die Jünger das Donnern der Stimme vernommen hatten: «Dies ist mein geliebter Sohn; auf den sollt ihr hören!»
    «Auf den sollt ihr hören!» Die Worte hallten laut in Hannahs Ohren und veranlaßten sie, sich umzusehen. Doch es war nichts da, kein Schatten, kein Laut, nicht einmal ein Windhauch. Sie setzte den Tiegel dicht neben sich auf den Felsen.
    Hier, wo diese Worte einst gesprochen worden waren, nahmen sie einen neuen Sinn an; sie wurden so einfach und bewegend, daß sie auf die fast nie gebrauchten Riegel im Hals zu drücken schienen, die die Tränen freiließen. Gott sprach zu den Herzen dieser einfachen, gläubigen und treuen Männer und verlangte von ihnen nur, daß sie auf die Worte seines Sohnes hörten. Und sie dachte daran, daß Gott von der Welt niemals mehr verlangt habe, als daß sie auf die Worte Jesu höre. Sie wußte, daß sie selber ein ganzes Leben lang Gott im Munde geführt und ihn nie in ihr Herz aufgenommen hatte.
    Und plötzlich erkannte sie jene Hannah Bascombe, die man gelehrt hatte, die Güter dieser Welt zu sammeln, und sah sie als das, was sie war, eine sündige Frau und ein Versager als Menschenwesen. Sie hatte gegen Gott und die Menschen gesündigt, gegen die Natur, gegen sich selber, ja sogar gegen ihren Vater, den sie einst so sehr zu lieben glaubte.
    Zum erstenmal sah sie sich nicht mehr als sein Opfer, sondern erkannte, daß sie ihn zu dem ihren gemacht hatte. Er war ein starker Mann gewesen, dessen einzige Schwäche es war, seine Tochter zu lieben; diese Liebe hatte die von der Natur gesetzten Schranken überschritten. Sie hatte nicht seine Stärke, sondern seine Schwäche gestützt. Sie selber aber, die als Frau diese Gabe besaß, hatte ihm die Unsterblichkeit vorenthalten, die in der Erbfolge liegt und nach der sich alle Männer sehnen. Ungeliebt, unvermählt, eine trockene, unfruchtbare alte Jungfer aus eigenem Entschluß hatte sie seinem Blut das Leben verwehrt und lediglich versucht, seinem Geld

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