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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Beständigkeit zu verleihen.
    Ein Wind blies vom Gipfel des Hermon herab, und Hannah schauderte, denn sie war eine alte, elende, furchtsame Frau, allein mit sich selber auf einem geheiligten Berggipfel, und drückte einen kalten, glatten Tontopf an sich, von dem sie einmal geglaubt hatte, er erfülle den größten Wunsch ihres Herzens.
    Sie schaute auf ihn hinab, wie er da auf dem uralten Felsen im Mondlicht schimmerte und sogar einen kleinen Schatten warf, und versuchte, sich darüber klarzuwerden, weshalb sie ihn sich so sehr gewünscht hatte, was er wirklich für sie bedeutete und warum sie nun neben ihm saß. Sie konnte sich nicht recht erinnern, wenn auch schwache Klänge von früher her sie erreichten — sie stand vor grinsenden Männern, die ihre Worte niederschrieben, als sie ihren Trotz gegen die Regierung und ihre Steuereinnehmer herausschrie. Aber das mußten Träume aus der Vergangenheit sein, zu niedrig und gemein, als daß man ihnen nachhängen dürfte, wo hier seine Augen so nahe waren und er bis in ihre Seele blicken konnte.
    Ihr Geist floh vor diesen Erinnerungen, vor dem Leben, das sie geführt hatte, vor den Verträgen, den großen Schachzügen, dem Bankhaus, den Büchern und Kladden, den Käufen, Verkäufen und unbarmherzigen Erwerbungen. Sie flehte darum, daß das alles nur Träume sein möchten, diese ganze entsetzliche Hingabe an ein nutzloses, tragisches Ziel, die sie zu einer Gegnerin ihres Vaterlandes gemacht und keinem einzigen Menschen Trost und Glück gebracht hatte.
    Laß es böse Träume sein, dachte sie, die wie die Nebel über die Hügel zu Füßen des Hermon wirbeln; die Wirklichkeit mußte das sein, was ihr geschehen war, seit sie nach Palästina gekommen war, die Tränen, die sie in Nazareth vergossen, das grüne und gelbe Feld, wo David einst in der Rüstung seines Glaubens gestanden hatte, die Lichtung in Kapernaum, auf der noch das begrabene Feuer der Steine glühte, die Jesu Füße einst berührt hatten. Die Wirklichkeit war jener Augenblick, als sie im Jordan gestanden und darum gebetet hatte, daß ihre Sünden abgewaschen würden.
    Abermals blickte sie auf den glasierten Tiegel neben sich, nach dem sie so erbittert gestrebt hatte.
    Ach ja, der Inhalt sollte ihr helfen, den Todesengel zu besiegen, und ihr die Jahre schenken, für die sie bereit gewesen war, ihre Seele zu verkaufen. Dies war ein Rest von der uralten Speise, die die Patriarchen viele Generationen lang am Leben erhalten hatte. Wie lange würde sie dann leben? Noch hundert Jahre? Zweihundert? Wenn man das Geheimnis kannte und jedes Jahrhundert wieder hierherkam, um sich an der Quelle dieser Frucht des Lebens zu erfrischen, die Gott einst der Menschheit seiner Schöpfung geschenkt hatte, brauchte man dann überhaupt jemals zu sterben? Im Licht der Sterne kehrte der verkniffene, besitzgierige Zug noch einmal für Sekunden auf ihr Gesicht zurück. Es gab nichts Wichtiges — solange nur Hannah Bascombe nicht zu sterben brauchte.
    Doch schon im nächsten Augenblick hallte von den riesigen, schneebedeckten Hängen, von der Klarheit des funkelnden Himmels, von dem einsamen Gebirge, auf dem einst seine Stimme erklungen war, das Nein zu diesen Gedanken, denn hier auf dem Hermon flackerte die Wahrheit allenthalben wie ein Nordlicht um sie her.
    Weshalb sollte es wichtig sein, daß Hannah Bascombe ewig lebte? Immer blasser wurden die alten Träume mit ihrem Grauen und Entsetzen. Wie kam sie, die hier saß und das Land betrachtete, nur dazu, jene Ewigkeit auszuschlagen, von der Paulus schrieb, daß sie das Geschenk Gottes sei, das Zeichen für Gottes Barmherzigkeit, das den Menschen das Anrecht sicherte, wieder mit dem Universum eins zu werden und bei Gott zu weilen?
    Sie erinnerte sich, was Dr. Levi einmal zu ihr gesagt hatte, als sie ihn nach seinen Ansichten über Leben und Tod und über Gott befragte.
    Er hatte erwidert: «Ich glaube weder an das Leben noch an den Tod, sondern nur an einen Übergang bei der Reise, die Gott uns zu tun geheißen hat. So wie nichts zwischen Seele und Körper von Kind und Vater tritt, so trennt nichts den Menschen von Gott, seinem Vater und Schöpfer. Er ist in uns und überall um uns. Wenn ich nicht mehr bin, was ich jetzt bin, wird er noch immer dasein. Niemals werde ich ohne ihn sein. Ich bin niemals einsam oder voll Angst, denn wenn meine Reise zu Ende ist, bin ich bei ihm angekommen.»
    Sie dachte an Joe Sears und das, was er ihr als den Lohn des ewigen Lebens versprochen hatte; und

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