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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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hatte; sie verspürte nicht mehr den mindesten Wunsch danach oder nach dem, was es ihr verhieß; und dieses Verlangen würde auch niemals wiederkommen.
    Sie erhob sich, kaum fähig zu stehen, durchgefroren, aber endlich von Frieden erfüllt. Sie wickelte sich gegen die Kälte in ihren Mantel und begann den Rückweg ins Dorf.
    Doch nach wenigen Schritten blieb sie stehen und schaute nach dem Tiegel zurück, der auf dem Felsen stand, vom Gold der aufgegangenen Sonne beschienen. Sie erinnerte sich, daß die Menschen da unten daran glaubten und ein Opfer gebracht hatten, als sie ihn ihr schenkten. Da sie selbst keine Verwendung mehr dafür hatte, wäre es wohl nicht mehr als recht, ihn zurückzugeben. Sie humpelte wieder zu dem Felsen, nahm den Tiegel auf, hielt ihn mit leichtem, doch sicherem Griff und stieg hinunter ins Dorf.

30

    Ich aber sprach: Sollte ein solcher Mann fliehen? Sollte ein solcher Mann, wie ich bin, in den Tempel gehen, daß er lebendig bleibe?
    NEHEMIA 6, 11

    Seit der für die Abreise der Karawane nach Israel festgesetzten Zeit waren reichlich acht Stunden verstrichen, und Joe Sears war noch immer nicht wieder aufgetaucht. Deshalb ging Dr. Levi zum Quartier der Frauen hinauf, in das sie nach der Verschiebung des Abmarsches zurückgekehrt waren, und rief:
    «Miss Adams...»
    Clary erschien sofort in der Tür. Sie fragte ängstlich: «Ist Nachricht gekommen?»
    Dr. Levi erwiderte: «Bis jetzt kann ich es noch nicht sagen. Sie baten nur, ich solle Sie verständigen, sobald wir irgend etwas hörten. Ich habe eben mit einem Jungen aus dem Dorf gesprochen, den Barzillai geschickt hat. Der Junge war sehr verängstigt. Er ist gerade von den Bergen heruntergekommen. Er sagt, in einer der Höhlen sei ein Irrer oder Besessener, er habe ihn gesehen und heulen hören.»
    Clary sah ihn in ungläubiger Bestürzung an. «Aber Joe ist nicht irrsinnig. Sie wollen doch nicht annehmen...»
    «Es ist der erste Bericht, den wir bekommen haben. Ich möchte nachsehen.»
    «Nehmen Sie mich mit. Bitte! Ich — ich könnte vielleicht irgendwie helfen.»
    Dr. Levi bemerkte: «Sie fürchten sich nicht vor Besessenen?»
    Clary erwiderte: «Ich fürchte nur für Joe.»
    «Und weshalb?»
    «Ich weiß es nicht. Aber ich habe schon die ganze Zeit Angst, seit Miss Bascombe gestern erschöpf! und halb erfroren zurückkam — mit dem Tiegel, den sie geschenkt bekommen hatte. Sie hat ihn mir angeboten. Ich habe ihn zurückgewiesen.»
    «Ja?» fragte Dr. Levi. «Warum?»
    Clary wirkte niedergeschlagen und antwortete nicht. Dr. Levi sagte: «Nun ja. Ich glaube, ich weiß den Grund. Und was haben Sie dann damit getan?»
    «Ich fragte Miss Bascombe um Anweisungen. Dann rief ich Joe Sears und bat ihn, den Topf zu Barzillai zurückzubringen.»
    «Und da bekamen Sie Angst?»
    «Ja. Wegen des Ausdrucks auf seinem Gesicht.»
    «Wie sah er denn aus?» — «Böse!»
    «Und Miss Bascombe?»
    «Sie schläft.»
    Dr. Levi nickte. «Wahrscheinlich ist es nur gut, daß unser Abmarsch sich verzögert hat. Sie brauchte die Ruhe. Gut, Sie können mitkommen. Ich glaube, Sie sind mutig genug, das zu sehen, was uns vielleicht entgegentritt. Nehmen Sie noch eine Taschenlampe mit.»
    Während sie hineinging, um sie zu holen und sich einen Mantel anzuziehen, dachte Dr. Levi über die seltsamen Menschen nach, die er bei der Rückkehr seines Neffen kennengelernt hatte — Hannah, die Besessene; Sears, den Scharlatan, der sich ihre Besessenheit zunutze machte; und das Mädchen, das ihn liebte und nicht wagte, es vor sich selbst einzugestehen, weil sie wußte, was er für ein Mensch war.
    Diese drei hatten plötzlich scharfe Plastizität vor dem Hintergrund der neuen jüdischen Nation erhalten, die eine ihrer periodischen und historischen Wiedergeburten erlebte, wie immer, wenn die Kinder Israels einen ihrer rührenden Versuche unternahmen, aufrecht im Angesicht des Herrn zu wandeln.
    Ja, dachte Dr. Levi, es war ein heikler Augenblick im Leben dieses wiedergeborenen Landes, eines Landes, das er liebte, bemitleidete und verstand. Es würde sich abermals verändern, es würde Fehler begehen, sich verirren und die Wege verlassen, die er so schön und tapfer fand; doch jetzt, in diesem kurzen Augenblick, besaß es alles, was groß und liebenswert in Israel war, und er war sehr dankbar, daß er, der so weit gereist war, an so verschiedenen Orten gelebt und so viel gesehen hatte, diese Augenblicke erlebte, um die Wiedergeburt seines Landes, seines Volkes und all das

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