Jake Djones und die Huter der Zeit
das Mexiko der Inka bis hin zum modernen Moskau, und jedes einzelne Kleidungsstück ist absolut authentisch. Wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst, ist die Kostümschneiderei Nathans absoluter Lieblingsort im Schloss â nirgendwo sonst gibt es so viele Spiegel wie hier. Nicht einmal in seiner eigenen Suite.«
»Tja, was soll ich sagen? Ich fühle mich nun mal zu schönen Dingen hingezogen«, gab Nathan ungerührt zurück.
Jake staunte mit groÃen Augen. Auf der Ebene über ihnen lieà sich Océane Noire gerade mit einem besonders extravaganten Kleid ausstaffieren. Die Schneider waren im Moment damit beschäftigt, ihren Reifrock mit zwei extra breiten Krinolinen sogar noch ausladender zu machen, als er ohnehin schon war. Als sie fertig waren, warf Océane sich in Pose und begutachtete das Ergebnis im Spiegel. »Hmm, ich finde, sie könnten doch ein wenig breiter sein. Nein, viel breiter sogar, ganz bestimmt!«, hörte Jake sie sagen, woraufhin die Schneider die untauglichen Accessoires umgehend wieder entfernten.
»Guten Morgen, Signore Gondolfino. Mein neues Jackett passt ganz hervorragend«, sagte Nathan mit breitem amerikanischem Akzent zu einem äuÃerst geschmackvoll gekleideten Mann, der gerade, ein Monokel in der Hand, zwischen den Garderobenstangen hervortrat.
»Signore Luigi Gondolfino«, erklärte Nathan feierlich. »Leiter der Kostümschneiderei und ein wahres Modegenie, wie ich anmerken darf.«
Ein Lächeln breitete sich über Signore Gondolfinos faltiges Gesicht aus, während er auf sie zugehumpelt kam. »Mademoiselle St. Honoré, seid Ihr das?«, fragte er mit leicht zitternder Stimme. »Mit jedem neuen Monat seht Ihr noch bezaubernder aus, muss ich sagen. Wie war es in London? Wie viele Herzen habt Ihr diesmal gebrochen?«
»Alle Londoner Herzen sind noch intakt.«
»Welch ein Unsinn! Ihr müsst Herzen brechen, das ist Eure heilige Pflicht!«
»Wie geht es Euch, Signore Gondolfino?«, mischte Nathan sich wieder ein. »Ich wollte Euch nur sagen, dass der neue Redingote mit den Pelerinen ein absoluter Traum ist.«
Das Lächeln verschwand aus Signore Gondolfinos Gesicht, als er sich, das Monokel vors Auge geklemmt, Nathan zuwandte. »Ah, ja, du bistâs. Willst du etwas zurückgeben?« Nathans amerikanische GroÃmäuligkeit war eindeutig zu viel für Gondolfinos europäisch-kultiviertes Gemüt.
»Nein, ich wollte Euch lediglich ⦠ein Kompliment machen«, erwiderte Nathan. Zum ersten Mal seit Jake ihn kennengelernt hatte, schien Nathan ein wenig verunsichert.
»Das hier ist übrigens Jake Djones«, warf Topaz ein. »Der Sohn von Alan und Miriam Djones. Er hat sich uns gestern erst angeschlossen.«
Signore Gondolfino ergriff Jakes Hand und hielt sie mit seinen gebrechlichen Fingern erstaunlich fest umschlossen. »Es ist mir die höchste Ehre, Euch kennenzulernen. Alles wird in Ordnung kommen. Eure Eltern sind zäh.«
Auf Signore Gondolfinos Bemerkung hin stellte Jake sich vor, wie seine Eltern zu Hause in London in der Küche standen, einander nervös an den Händen hielten und darauf warteten, dass er nach Hause kam. Vielleicht waren sie mittlerweile ja wieder in England, während er sich hier, fast zweihundert Jahre in der Vergangenheit, anschickte, nach ihnen zu suchen?
Und Signore Gondolfinos Worte waren es auch, die ihn sogleich wieder aus seinen Gedanken rissen.
»Diese neuzeitlichen Gewänder ⦠wie einfallslos, wie überaus uncharmant«, schimpfte er und musterte durch das Monokel Jakes Schuluniform. »Nichts gegen Euch, junger Mann, natürlich«, fügte er mit einem Lächeln hinzu.
»So habe ich es auch gar nicht verstanden«, erwiderte Jake ebenfalls mit einem Lächeln. Vor allem die Hose seiner Schuluniform hatte er schon immer gehasst. Der Stoff kratzte, und sie war viel zu warm, selbst im tiefsten Winter schwitzte er ständig darin.
»Später«, versicherte ihm Gondolfino, »werden wir etwas Passenderes für Euch finden. Etwas Elegantes. Bel viso ⦠Euer Gesicht verlangt geradezu danach.«
Plötzlich ertönten überall auf der Insel laute Glocken.
»Zehn Uhr!«, rief Nathan. »Zeit zu gehen.«
Die drei verabschiedeten sich von Signore Gondolfino, und während sie die Schneiderei verlieÃen, lieà Jake noch einmal den Blick über die fantastischen
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