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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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Zeit waren die Sommer, zum Glück für ihn konnte Kowalskis Magen kein Eis vertragen, und er ist vorübergehend alleiniger Nutznießer ihrer Abmachung gewesen. Doch mit der Zeit ist sein Ehrgeiz geschwunden, andere Sorgen waren wirklich wichtiger, den Bart hat er sich wieder wachsen lassen, und die Sache ist stillschweigend eingeschlafen, bis auf gelegentliches Aufflackern.
    Aber das sind alte Geschichten, Kowalski sitzt neben ihm, löffelt seine Suppe, wie lange noch schweigend, auf seinen dürren Backen steht eine einzige unterdrückte Frage mit roten Punkten geschrieben. Jakob sieht starr in seine leere Schüssel, denkt, vielleicht ist es Zufall, es gibt komische Zufälle. »Wie geht’s?« würde idiotisch klingen, denkt er. Er leckt sorgfältig seinen Löffel ab, steckt ihn in die Tasche, zum Aufstehen gibt es noch keinen Grund, die Pause dauert noch ein paar Minuten.
    Die letzten in der Reihe bekommen gerade ihr Essen. Er stellt die Schüssel weg, stützt sich auf die Hände, lehnt sich zurück, schließt die Augen, den Kopf nach oben, für wenige Augenblicke Posten sein und die Sonne genießen.
    Kowalski hört auf zu löffeln, Jakob hört durch die geschlossenen Augen, daß seine Schüssel noch nicht leer ist, es hat noch nicht am Boden gekratzt. Jakob hört also, daß Kowalski ihn ansieht, es kann nicht mehr lange dauern, bloß noch den rechten Anfang.
    »Gibt es Neuigkeiten?« fragt Kowalski leichthin.
    Als Jakob ihn ansieht, löffelt er schon wieder, die Hintergedanken noch auf den Backen, aber die unschuldigen Augen mitten in der Suppe. Es klingt, als ob du in seinen Frisiersalon kommst, du setzt dich auf den einzigen Stuhl vor den einzigen Spiegel, er wedelt die schwarzen Haare des letzten Kunden vom Umhang, bindet ihn dir um, wie immer viel zu eng. »Gibt es Neuigkeiten?« Der Sohn von Mundek hat seinen ersten Prozeß gewonnen, der wird, wie es aussieht, seinen Weg machen, doch das weiß man schon längst, Hübscher hat es bereits gestern erzählt. Aber was du noch nicht wissen wirst, Kwart ist die Frau weggelaufen, niemand weiß, wo sie hin ist, aber mit Kwart kann auch wirklich kein vernünftiger Mensch auskommen. Es klingt so altvertraut, daß Jakob Lust hätte zu sagen: »Schneid sie aber hinten nicht so kurz wie beim letztenmal.«
    »Na was ist?« fragt Kowalski, während seine Augen in der Suppe zu ertrinken drohen.
    »Was für Neuigkeiten?« sagt Jakob. »Wieso fragst du ausgerechnet mich?«
    Kowalski macht sein Gesicht für Jakob frei, das ganze Fuchsgesicht, das nichts verbergen kann, er wendet es Jakob zu mit ein wenig sanftem Vorwurf darauf, mit etwas Verständnis für Jakobs Vorsicht und mit dem Hinweis, daß die Vorsicht in diesem besonderen Fall doch wohl fehl am Platze ist.
    »Jakob! … Sind wir nicht alte Freunde?«
    »Was hat das damit zu tun?« sagt Jakob. Er ist nicht sicher, ob es ihm glaubhaft gelingt, sich dumm zu stellen, Kowalski kennt ihn immerhin schon sehr lange. Und er kann sich denken, daß es im Grunde ziemlich unwichtig ist, ob es ihm gelingt oder nicht, wenn Kowalski was weiß, könnte er sogar ein Moissi sein.
    Wenn Kowalski was weiß, dann wird er nicht lockerlassen, er kann einen bis aufs Blut quälen.
    Kowalski rückt etwas näher, läßt den Löffel in der Suppe schwimmen, greift Jakob mit der freien Hand am Arm, er wird ihm nicht entkommen.
    »Also schön, reden wir offen …« Er senkt die Stimme auf die Lautstärke, in der man über Geheimnisse redet, flüstert also:
    »Stimmt das mit den Russen?«
    Jakob erschrickt über den Ton. Nicht über das Flüstern, geflüstert wird zu allen möglichen Anlässen, das macht keine Angst. Er erschrickt über den Ernst, er sieht, daß es nicht lustig zugehen wird, nichts für die leichte Schulter, er erschrickt über das Zittern in Kowalskis Stimme. Da ist Erwartung, die es nicht dulden wird, daß man sich einen Spaß mit ihr macht, da wird Gewißheit gefordert, da fragt ein Mann, der nur diese eine Frage beantwortet haben will, es muß sein, nur diese Frage noch, sonst nichts, für alle Zeiten.
    Und doch macht Jakob einen letzten unnützen Versuch:
    »Mit was für Russen?«
    »Mit was für Russen! Mußt du mich so kränken, Jakob? Hab ich dir je was Schlechtes getan? Besinn dich, Jakob, besinn dich, wer neben dir sitzt! Die ganze Welt weiß, daß er ein Radio hat, und mir, seinem einzigen und besten Freund, will er nichts sagen!«
    »Die ganze Welt weiß das?«
    Kowalski nimmt zurück. »Nicht gleich die ganze Welt, aber der

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