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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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und jener wird es schon wissen. Hat es mir einer gesagt, oder bin ich ein Hellseher?«
    In Jakobs Kopf verdrängt ein Ärger den zweiten. Kowalski wird von Mischa in den Hintergrund gespielt, dieser Schwätzer bringt ihn in eine unmögliche Situation. Auf einmal ist es nicht mehr nötig, Mischa zur Seite zu nehmen für eine Richtigstellung, ganz und gar überflüssig, das Feuer ist nicht mehr aufzuhalten, keiner weiß, wen man jetzt schon alles zur Seite nehmen müßte. Und sogar wenn man sich die Mühe machte, bei jedem einzelnen von ihnen, wenn man mit Engelsgeduld versuchen würde, Mann für Mann den blödsinnigen Weg zu erklären, auf dem die glorreiche Nachricht in das Ghetto bis in ihre Ohren geflogen ist, was bliebe ihnen anderes übrig, als ihm nicht zu glauben? Bei aller Wertschätzung und mit viel Verständnis für seine Lage? Oder nimmt einer ernsthaft an, Kowalski könnte es sich leisten, sich abspeisen zu lassen mit einer Geschichte, die an allen Ecken und Enden hinkt?
    »Na was ist?«
    »Das mit den Russen stimmt«, sagt Jakob. »Und jetzt laß mich in Ruhe.«
    »Sind sie zwanzig Kilometer vor Bezanika?«
    Jakob verdreht die Augen und sagt: »Ja!«
    Er steht auf, so versalzen sie einem die Freude, und dabei hätte man den gleichen Grund wie sie alle. Ein Vermögen dafür, wenn Kowalski von dem Posten in der Kurländischen entdeckt worden wäre, Kowalski oder irgendein anderer. Was hatte er gestern abend überhaupt dort verloren? Alle braven Bürger liegen in ihren Betten, aber er muß in dunkler Stunde die Straßen unsicher machen, weil ihm die Decke auf den Kopf fällt, weil Piwowa und Rosenblatt wieder mal nicht zum Aushalten sind, weil ein Spaziergang nach Feierabend so einen seltsamen Hauch von normalen Zeiten hat. Ein Spaziergang in einer Stadt, die man kennt, seit sie einen im Kinderwagen aufgesetzt haben, mit einem Kissen im Rücken. Die Häuser erzählen dir fast schon vergessene Unwichtigkeiten, dort bist du einmal gefallen und hast dir den linken Knöchel verstaucht, an der Ecke hast du endlich einmal Gideon die Wahrheit ins Gesicht gesagt, auf dem Hof hat es mitten im Winter gebrannt. So einen ersehnten Hauch von normalen Zeiten, den hat er sich versprochen, gespürt hat er ihn nicht lange, und jetzt das hier.
    »Wirst du wenigstens schweigen?«
    »Du kennst mich doch«, sagt Kowalski. Er will in Ruhe gelassen werden, vorerst, die Pause ist kurz, und man ist zur Genüge mit sich beschäftigt und mit dem, was da plötzlich auf einen zukommt.
    Jakob hebt seine Schüssel von der Erde auf und geht. Er nimmt noch Kowalskis Gesicht mit, auf die Seite gelehnt, kein Krieg weit und breit, die Augen auf einen fernen Punkt gerichtet, den kein anderer zu sehen vermag. Er hört noch Kowalskis Lippen verliebt flüstern: »Die Russen …«
    Dann ist er beim Handwagen, er stellt seine Schüssel zu den anderen, schaut wieder zu Kowalski, der inzwischen seinen Löffel aus der Suppe fischt. Die Pfeife erschallt, sogar Kowalski hört sie, schnell wird ein Schüsseltürmchen gebaut.
    Es kommt Jakob vor, als schauten ihn alle seltsam an, anders noch als gestern, irgendwie das Geheimnis im Blick. Vielleicht ist es eine Täuschung, ganz sicher sogar, alle können es unmöglich schon wissen, aber dieser und jener wird schon dabeigewesen sein.
    Ich möchte gerne, noch ist es nicht zu spät, ein paar Worte über meine Informationen verlieren, bevor der eine oder andere Verdacht sich meldet. Mein wichtigster Gewährsmann ist Jakob, das meiste von dem, was ich von ihm gehört habe, findet sich hier irgendwo wieder, dafür kann ich mich verbürgen. Aber ich sage das meiste, nicht alles, mit Bedacht sage ich das meiste, und das liegt diesmal nicht an meinem schlechten Gedächtnis.
    Immerhin erzähle ich die Geschichte, nicht er, Jakob ist tot, und außerdem erzähle ich nicht seine Geschichte, sondern eine Geschichte.
    Er hat zu mir gesprochen, aber ich rede zu euch, das ist ein großer Unterschied, denn ich bin dabeigewesen. Er hat versucht, mir zu erklären, wie eins nach dem anderen gekommen ist und daß er gar nicht anders gekonnt hat, aber ich will erzählen, daß er ein Held war. Keine drei Sätze sind ihm über die Lippen gekommen, ohne daß von seiner Angst die Rede war, aber ich will von seinem Mut erzählen. Von diesen Bäumen zum Beispiel, von diesen Bäumen, die es nicht gibt und die ich suche, an die ich nicht denken will und muß, und meine Augen werden feucht dabei, davon hat er keine Ahnung gehabt, das ist

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