Jakob der Luegner
daß ja auch die Sachen, die er trägt, aus erheblich dickeren Zeiten stammen. Bilder beweisen, daß Mann und Haut vor Jahren eine wohlausgewogene Einheit gebildet haben, ein dickes Album voll Bilder, mit denen Frankfurter Mischa gleich bei seinem ersten Besuch traktiert hat. Denn er konnte den unvorteilhaften Eindruck, dessen er sich durchaus bewußt war, unmöglich auf sich sitzen lassen. Um seinen Hals ist ein Schal geschlungen, kunstvoll und salopp, ein Ende nach vorne und eins auf dem Rücken, und in seinem Mund steckt eine Pfeife, Meerschaum, die lange schon vergessen hat, wie Tabak schmeckt.
Er sitzt mit seiner Tochter am Tisch, die Partie steht für Rosa hoffnungslos. Frau Frankfurter sitzt bei ihnen, sie achtet nicht auf das Spiel, sie näht an einem Hemd ihres Mannes, macht es noch enger und träumt womöglich von einem stillen Glück. Als Mischa kommt, hat sich Rosa eben aufgeregt, daß die Partie mit ihrem Vater so langweilig ist, weil er bei jedem Zug so endlos lange überlegt, und er hat versucht, ihr zu erklären, daß es günstiger ist, in zwei Stunden eine Partie zu gewinnen als fünf zu verlieren.
»Aber wozu grübelst du jetzt noch?« hat sie gefragt. »Du stehst doch sowieso schon besser.«
»Ich stehe nicht sowieso besser«, hat er gesagt, »sondern weil ich so lange überlege.«
Sie hat ärgerlich abgewinkt, von Freude am Spiel keine Rede mehr, sie hat die Steine nur aus Gehorsam nicht umgeschmissen, und weil Mischa noch nicht da war, doch dann klopft es. Sie rennt eilig zur Tür und öffnet, und Mischa kommt herein. Man begrüßt sich, Frankfurter fordert Mischa auf, Platz zu nehmen, Mischa setzt sich. Rosa räumt schnell die Steine und das Brett weg, bevor Mischa ihre verlorene Partie übernehmen kann. Oft schon hat er sich auf ihren Platz gesetzt, nach einem Ausweg gesucht, hat am Ende doch aufgeben müssen und Revanche gefordert. Frankfurter hat sie ihm gewährt, dann haben sie beide dagesessen und gegrübelt, und auf einmal war es so spät, daß Mischa gehen mußte, bevor Rosa von ihm etwas gehabt hat.
»Ihr habt gespielt?« fragt Mischa. »Wer hat denn heute gewonnen?«
»Wer schon«, sagt Rosa, und es klingt wie ein Vorwurf.
Frankfurter zieht an seiner Meerschaumpfeife, zufrieden, wie man eben sein kann, zwinkert Mischa zu. »Sie spielt schneller, als sie denkt. Aber ich wette, das hast du schon bei anderer Gelegenheit selber gemerkt, stimmt’s?«
Mischa läßt das Witzchen links liegen, er kommt heute nicht mit leeren Händen, er überlegt nur noch, wie man die Nachricht besonders wirkungsvoll anbringen kann, denn Frankfurter hat nichts lieber als eine Geschichte mit einer Pointe am Ende. Wenn er über das Theater redet, wo sich, wenn man ihm glauben soll, die irrsinnigsten Dinge zugetragen haben, so gibt es dort keinen Schritt und keinen Blick, mit denen es nicht irgendeine besondere Bewandtnis auf sich hat. Jemand ist gestürzt oder hat sich blamiert oder die Vorstellung geschmissen oder nicht verstanden, warum die anderen lachen. Wenn es nicht so wäre, findet wohl Frankfurter, brauchte man es überhaupt nicht erst zu erzählen.
»Was kann man denn heutzutage einem Gast anbieten?« sagt Frankfurter zu seiner stillen Frau. Und dann zu Mischa: »Was kann man denn einem Gast anbieten außer der Tochter?«
Er lächelt, gelungen die Bemerkung, dann zieht er wieder an der Pfeife. An einer leeren Pfeife ziehen kann jeder, ein Kinderspiel, aber nicht so wie Frankfurter. Er spielt den Genuß mit, die wohlige Fülle des Rauches, wenn man nicht genau hinsieht, könnte man in Versuchung kommen, den Qualm wegzuwedeln.
Man schweigt ein paar Gedanken lang, gleich wird Frankfurter eine Anekdote erzählen, eine seiner Geschichten, an deren Ende er immer so vergnügt tut, daß er sich auf die Schenkel schlägt, etwa wie der Teil gleich zu Beginn seinen Hut vor dem Hut auf der Stange gezogen hat, für eine lumpige Wette, oder wie dem Schauspieler Strelezki, der ansonsten ein göttlicher Othello gewesen sein soll, das Gebiß aus dem Mund gefallen ist, genau während er über Desdemona gebeugt war, um sie zu erwürgen. Rosa legt ihre Finger auf Mischas Hände, ihre Mutter macht das Hemd immer noch kleiner, Frankfurter reibt sich die Knie, vielleicht ist er heute nicht aufgelegt, und dabei kommt Mischa mit so einer guten Nachricht, er grübelt nur noch, wie man sie am besten sagt, wie über einem Zug.
»Hast du überhaupt schon das Neueste gehört?« fragt ihn Rosa plötzlich.
Mischa sieht
Weitere Kostenlose Bücher