Jakob der Luegner
einzig und allein meine Sache. Ich kriege jetzt nicht alles zusammen, aber es gibt noch manches, wovon er nichts gewußt hat, wo er mich möglicherweise gefragt hätte, wie ich darauf komme, und doch meine ich, es gehört eben dazu. Ich würde ihm gerne sagen, warum ich das meine, ich bin ihm Rechenschaft schuldig, ich denke, er würde mir recht geben.
Einiges weiß ich noch von Mischa, aber dann gibt es ein großes Loch, für das einfach keine Zeugen aufzutreiben sind.
Ich sage mir, so und so muß es ungefähr gewesen sein, oder ich sage mir, es wäre am besten, wenn es so und so gewesen wäre, und dann erzähle ich und tue so, als ob es dazugehört. Und es gehört auch dazu, es ist nicht meine Schuld, daß die Zeugen, die es bestätigen könnten, nicht mehr aufzutreiben sind.
Die Wahrscheinlichkeit ist für mich nicht ausschlaggebend, es ist unwahrscheinlich, daß ausgerechnet ich noch am Leben bin.
Viel wichtiger ist, daß ich finde, so könnte oder sollte es sich zugetragen haben, und das hat überhaupt nichts mit Wahrscheinlichkeit zu tun, dafür verbürge ich mich auch.
Es war nicht der schlechteste Einfall von Mischa, Rosa bei der Ausgabe der Essenmarken anzusprechen, allen Mut zusammengenommen, sie zu fragen, ob sie nicht für ein Stückchen den gleichen Weg hätten, und sie war zum Glück damit einverstanden. Zuerst war es nur ihr Gesicht, was ihm die Zunge gelockert hat, wie viele Mädchen sind schon wegen ihrer blanken Augen angesprochen worden, aber später ist eins nach dem anderen hinzugekommen, und heute, ungefähr ein Jahr danach, liebt er sie ganz, wie sie ist. Die ersten Schritte sind peinlich schweigsam gewesen, sein Kopf war wie ausgehöhlt.
Von ihr hat er nicht die geringste Unterstützung bekommen, nicht mal einen aufmunternden Blick, sie hat verschämt geradeaus gesehen und vermutlich darauf gewartet, daß etwas Wichtiges geschieht. Doch es ist nichts geschehen, bis sie an ihrer Haustür waren nichts, ihre Mutter stand schon unruhig am Fenster, wo die einzige Tochter so lange bleibt. Rosa hat sich eilig und mit gesenkten Blicken verabschiedet, aber sie muß gerade noch gehört haben, wo und an welcher Stelle er am nächsten Tag auf sie wartet.
Jedenfalls ist sie zur Verabredung gekommen, Mischa fiel ein Stein vom Herzen, er hat in die Tasche gegriffen und ihr sein erstes Geschenk gemacht. Es war ein kleines Buch mit Gedichten und Liedern, er kannte sie schon alle auswendig, es war das einzige Buch, das er zufällig besaß. Eigentlich wollte er ihr eine Zwiebel schenken, womöglich eine mit bläulicher Schale, er hat die Sache mit Rosa von Anfang an sehr ernst genommen, doch das war zu hoch gegriffen, in der Kürze der Zeit konnte es ihm beim besten Willen nicht gelingen, eine aufzutreiben. Sie hat sich zuerst ein bißchen geziert, ob sie das Geschenk überhaupt annehmen soll, wie unerfahrene Mädchen es häufig tun, aber dann hat sie das Buch natürlich doch eingesteckt und ihm gesagt, daß sie sich sehr darüber freut.
Dann hat er sich erst einmal vorgestellt, gestern waren sie in der Aufregung nicht dazu gekommen, und dann hat er zum erstenmal ihren Namen gehört, Rosa Frankfurter.
»Frankfurter?« hat er gefragt. »Sind Sie vielleicht mit dem berühmten Schauspieler Frankfurter verwandt?«
Das war, es ließ sich später anhand von Programmheften des Stadttheaters leicht feststellen, eine ziemliche Übertreibung, über mittlere Rollen ist der Schauspieler Frankfurter nie hinausgekommen. Doch Mischa hatte es nicht ironisch gemeint, er hatte Frankfurter nie spielen sehen, er war erst einmal im Theater, nur von ihm gehört oder gelesen. Und auch Rosa hat es nicht so aufgefaßt, sie hat errötend zugegeben, daß es sich tatsächlich so verhält, daß der Schauspieler Frankfurter ihr Vater ist. Sie haben dann ein wenig über das Theater geplaudert, wovon er so gut wie keine Ahnung hatte, doch es ist ihm später mit viel Geschick gelungen, das Gespräch allmählich aufs Boxen zu bringen, wovon sie wieder keine Ahnung hatte. So haben sie sich glänzend unterhalten, und noch am selben Abend hat sie sich den ersten Kuß von Mischa auf ihr seidiges Haar gefallen lassen.
Als Mischa kommt, sitzt Felix Frankfurter bei einer Partie Dame mit seiner Tochter am Tisch. Er ist ein großer Mann, groß und hager, Mischa hat mir mit viel verliebter Sorgfalt sein Äußeres beschrieben. Eine ehemals gewaltige Fülle hat Frankfurters Haut in Falten gelegt, was besonders noch dadurch unterstrichen wird,
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