Jakob der Luegner
ganz gut so, zuviel an Tarnung kann auch schaden, Hauptsache er schließt die Tür frei von Verdacht, er richtet sich auf eine kurze Wartezeit ein, das Koppel hängt ihm schon über dem Unterarm, und spaziert auf und ab, weil man es so leichter aushält als im Stehen.
Auf was für Wartezeit soll Jakob sich einrichten, über dem Zeitungsrand und durch das Herzchen geht der Graue hin und her. Jetzt hilft nur noch ein Wunder, her mit dem ersten besten, man braucht den Kopf nicht anzustrengen, denn echte Wunder sind nicht kalkulierbar. Es hat noch zwei Minuten Zeit, kaum mehr, das Unerwartete, und wenn es ausbleibt, was nur recht und billig wäre, dann sieht so lächerlich die besagte letzte Stunde aus.
»Beeil dich, Kamerad, ich habe Durchfall«, hört man den Soldaten bitten.
Die Blättchen auf dem Rücken fangen an zu kleben, man wird sie trocknen müssen vor Gebrauch, wenn alles gutgeht auf märchenhafte Weise. Und Jakob erzählt mir, auf einmal wird er müde, auf einmal machen sich Angst und Hoffnung davon, alles wird seltsam schwer und leicht zugleich, die Beine, die Augenlider, die Hände, denen vier Seiten für das Vaterland Gefallene sanft entgleiten.
»Hast du schon gehört, daß Marotzke wieder Heimaturlaub kriegt? Wenn das mal mit rechten Dingen zugeht! Der muß irgendwelche Leute ganz oben kennen, woll? Fährt alle naselang, und unsereins wartet und wartet und muß egalweg bei diesen Knoblauchfressern bleiben.«
Du lieber Himmel, Knoblauch, wenn man eine einzige Zehe hätte, hauchdünn auf warmes Brot gestrichen, du Idiot, ein Schulz oder ein Müller wird auf dem Klosett vermutet, ein Marotzke nicht Wohlgesonnener, an sich ein Treffer, wer Marotzke auch ist. Jakob lehnt sich gegen die Rückwand und schließt die Augen, auf heldenhaftes Aufbäumen könnt ihr lange warten, seins ist erledigt. Der Kamerad da draußen ist am Zug, er muß die Handlung in Trab halten. Soll er weggehen oder hierbleiben, soll er, von Bauchkneifen geplagt, die Tür aufreißen und staunen und schießen, einen Überraschten wird er nicht treffen. Alles Folgende ist seine Sache.
Wer soll auch ahnen, daß an dem Wunder schon gearbeitet wird, in groben Zügen ist es schon entworfen. Da ist noch Kowalski, Kowalski mit zwei entsetzten Augen im Kopf, der weiß, was los ist, der kennt die Lage. Der sieht den bedürftigen Soldaten und die Tür, die noch standhält, der weiß, wer drin ist und ohne seine Hilfe da nicht freikommt, wenn er nicht vor Angst schon sowieso gestorben ist. Die Rettung heißt, man lenkt den Deutschen ab, kein Steinchen an die Mauer werfen, daß er sich umdreht, wer geworfen hat, es muß etwas geschehen, was seinen sofortigen Eingriff verlangt. Als erstes fällt da der Kistenstapel auf, an die zwei Meter hoch und ziemlich wacklig.
Wenn dem zwei Kisten von unten weggezogen werden, dann steht er nicht mehr so stolz und abfahrbereit, dann ist es aus mit seinem Gleichgewicht, und das möchte eine schöne Ablenkung geben. Was aber passiert einem Dummkopf, der solche Ungeschicklichkeit begeht, was passiert mit Jakob, wenn sich weit und breit kein Ungeschickter findet, was sind vierzig Jahre Freundschaft wert, Rechenaufgaben für Kowalski.
Jakob hört ein leises Poltern in der Ferne, die Ohren kann man nicht schließen wie die Augen, dann hört er Soldaten-Stiefel eilig weglaufen. Grund genug, die Augen wieder aufzureißen, so und nicht anders hört sich ein Wunder an. Die Arme und die Beine bekommen zuverlässig das alte Gewicht, es geht wieder los. Die Luft scheint rein, sagt einem der Blick durch das Herz, die Juden, die in dem Ausschnitt zu erkennen sind, haben die Arbeit unterbrochen und starren alle in eine bestimmte Richtung, dorthin, wo sich vermutlich das Wunder abspielt.
Kowalski hat den Kistenberg mit Erfolg unterwandert. Die Kraft hat gerade ausgereicht, eine Kiste ist ihm auf den Kopf gefallen. Der Soldat stürmt vom Häuschen her blindlings in die Falle und macht sich über den Köder Kowalski her, man kann sagen, selten ist ein Taschenspielertrick besser gelungen. Wenn auch die Schläge sitzen, die Kiste auf den Kopf war gar nichts dagegen, Kowalski wimmert leise, hält sich schützend die Hände vor das Gesicht und bedauert mit fliegenden Worten sein unverzeihliches Versehen.
Wir anderen stehen wie angewurzelt und mahlen mit den Zähnen, einer neben mir will beobachtet haben, daß Kowalski den Stapel absichtlich umgeworfen hat. Der Soldat schlägt und schlägt, Marotzke kriegt schon wieder Heimaturlaub
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