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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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erwartet. Nicht gerade sehnsüchtig, bloß daß die Angelegenheit endlich erledigt ist. Aber wie er kommt und stehenbleibt und den Kopf hält, die ganze Art kann einen beunruhigen, denn er schaut eher freundlich als prüfend.
    Irgendwie sieht er die Welt mit anderen Augen, wie ein paar gute Minuten einen Menschen verändern können. Die Kisten, er hat die Kisten ganz vergessen, er blickt nur in das verschwollene Gesicht von Kowalski, das vorerst rot ist, auf dem man aber blau und grün und violett schon ahnen kann, und er wirkt bekümmert. Bei Jakobs Augenlicht, er wirkt bekümmert, da soll sich einer auskennen. Er dreht sich schweigend um und geht weg, Jakob denkt, ein Glück, daß er erst hinterher sein weiches Herz entdeckt und nicht von Anfang an ein guter Mensch gewesen ist, sonst wäre er nie von der Tür weggelaufen, er wäre stehengeblieben, und wenig später wäre seine Güte auf eine zu harte Probe gestellt worden.
    Im Vorbeigehen verliert der Kamerad zwei Zigaretten, Marke Juno ohne Mundstück. Er verliert sie, oder er läßt sie fallen, eine Frage, die nie zu klären sein wird, ebensowenig wie seine Motive, sofern es sich um Absicht handelt. Jedenfalls gehören die Zigaretten Kowalski, schließlich hat er dafür bezahlt.
    Minuten später kommt die Pfeife aus dem Steinhaus und trällert zur Mittagspause. Der Eisenbahner, den bis zu dieser Stunde keiner von uns je reden gehört hat, der dennoch der geschwätzigste unter unseren Deutschen ist, weil ihm ein halbwegs brauchbares Rundfunkgerät aus der Tasche fiel. Mit der Pfeife hat alles angefangen heute, und sie ahnt nichts, pfeift wie immer zur Suppe und kann nicht wissen, wie schamlos ihre Vergeßlichkeit ausgebeutet wurde, oder was immer es war. Nur Jakob weiß, ihm fallen die Blättchen unter dem Hemd wieder ein und die Doppelseite, die inzwischen ein ungewisses Schicksal genommen hat und die man eigentlich nicht so ungenutzt vergessen sollte.
    »Hab ich dir überhaupt schon erzählt, daß die Deutschen Riesenverluste haben?« sagt Jakob.
    Sie stehen bereits in der Schlange, Kowalski dreht sich zu ihm um, und zwischen seinen Blutergüssen erblüht der zarte Hauch eines trotz allem dankbaren Lächelns.

    Das Radio erweist sich als nicht sehr ergiebig. Jakob legt Blättchen neben Blättchen auf seinen Tisch, im ganzen neun Stück, und Piwowa und Rosenblatt enthalten sich jeder Störung.
    Heute sind sie, was sie sind, nämlich vor längerer Zeit gestorben, an Katzenfleisch und einem Aufseher, heute mischen sie sich nicht in Jakobs Geschäfte, denn er muß sich bei dem Anlegespiel konzentrieren.
    Der Name der Zeitung ist unauffindbar, ebenso das Datum, dafür hat der blinde Zufall gesorgt. Die neun Blättchen ergeben keine einzige zusammenhängende Seite, weil die Pfeife ganz wahllos zugegriffen hat, sich an keine Reihenfolge gehalten, Jakob hat die Mehrarbeit. Er probiert und dreht und wendet und findet doch kaum zwei Nahtstellen, die aneinanderpassen.
    Was am Ende aller Mühe vor ihm liegt, das sind zwei äußerst lückenhafte Seiten mit tischtuchfarbenen Löchern, zwei Seiten, die aussehen, als hätte ein umsichtiger Zensor alles Wissenswerte herausgeschnitten und dafür gesorgt, daß nur Bedeutungsloses in unbefugte Hände gerät. Der Sportteil zum Beispiel, ausgerechnet der Sportteil ist tadellos erhalten, wie werden sich die Juden freuen, daß die Boxstaffel der Luftwaffe gegen eine Auswahl der Marine zehn zu sechs gewonnen hat.
    Oder daß die Hamburger Fußballer den Berlinern, wie schon oft in der Vergangenheit, so auch diesmal keine Chance gelassen haben. Dann verrät uns die verschwiegene Seite noch an Weltbewegendem, daß sich ein Gauleiter, dessen Name abgerissen ist, anerkennend über irgendeine Kunstausstellung geäußert hat, daß Seine Exzellenz der spanische Botschafter die gegenseitigen freundschaftlichen Beziehungen weiter ausgebaut sehen möchte, und vor dem Volksgerichtshof hat ein Prozeß gegen zwei vom jüdischen Weltkapital bezahlte Agenten seinen gerechten Ausgang genommen.
    Du sitzt mit enttäuschtem Gesicht, hast von vornherein nicht viel erwartet, nur ein wenig Rückenwind für deinen armen Verstand, nur diese und jene versteckte Andeutung, aus der man mit einigem Geschick ein Festessen bereiten könnte, aber mit so wenig hast du nicht gerechnet. Kein Wort von Bezanika, wo die Russen längst schon durchgezogen sein müssen, kein Sterbenswort, das auf deutsche Schwierigkeiten hinweist, statt dessen spielen die Schwachköpfe

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