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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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Fußball und machen Ausstellungen und pflegen die Gerechtigkeit.
    Wir wenigstens wollen gerecht sein, wir wollen die Möglichkeit offenlassen, daß die Zeitung alt ist oder daß das Beste von ihr von der Pfeife verbraucht wurde, aber so oder so, man war ja selber ein Idiot, daß man sich soviel Hoffnungen gemacht hat. Man hätte ahnen müssen, was einen erwartet, wenn man sich bloß fünf Sekunden zum Überlegen genommen hätte. Was die für Zeitungen machen können, das ist zur Genüge bekannt, vor Jahren hat es in unserer Gegend eine deutsche Zeitung gegeben. Den »Völkischen Landboten«, und fragt mich nicht, was der getaugt hat. Gekauft hat man ihn ja nie, Geld wegzuwerfen ist Sünde, aber manchmal hat man ihn doch in die Finger gekriegt, ob man wollte oder nicht. Auf dem Markt haben sie Fisch in ihn eingewickelt, beim Zahnarzt hat einer im Wartezimmer gelegen, bei der Versicherung natürlich und mitunter auch bei Kowalski im Friseurgeschäft, weil er auf weltstädtisch machen wollte.
    Man hat ihm gesagt, Kowalski, hat man ihm gesagt, wenn du das Dreckding noch lange hier rumliegen läßt, versaust du dir bloß das Geschäft. Oder denkst du, zu dir verirrt sich ein deutscher Kunde, damit du ihm mit deinen jiddischen Fingern an seinem Kaiser-Wilhelm-Bart herumfummelst? Das mußt du mir schon überlassen, hat Kowalski beleidigt geantwortet, ich mache dir ja auch keine Vorschriften, wieviel Sägespäne du in deine Kartoffelpuffer mischen sollst. So war Kowalski, dabei sollen einem auf der Stelle die Hände abfallen, wenn diese Verleumdung stimmt. Jedenfalls hat ein Blick in das Blättchen genügt, und schon hat man gewußt, woran man war. Ständig haben sie sich bedroht gefühlt und erniedrigt und von Gott und der Welt benachteiligt, nicht sie haben uns erniedrigt, sondern wir sie. Die Frage, wie lange noch Deutschland unter den schmachvollen Ergebnissen des letzten Krieges leiden soll, hat ihnen in keiner Ausgabe Ruhe gelassen, dreimal die Woche.
    Und auf der letzten Seite haben neben einem Rebus so unverständliche Gedichte gestanden, daß man fürchten mußte, man hat ihre Sprache verlernt.
    Nur der Anzeigenteil, der war nicht der schlechteste, davon haben sie etwas verstanden. Jeden zweiten Mittwoch oder Dienstag waren die beiden Mittelseiten eng mit kleinen Annoncen bedruckt, und wenn man etwas brauchte, was auf dem Markt nur selten oder überhaupt nicht zu kriegen war, etwa ein paar hübsche Stühle, mit Korbgeflecht vielleicht, oder eine moderne Stehlampe oder einen größeren Posten Teller, weil in der Diele kein Geschirr lange gehalten hat, dann konnte ein Blick in den »Landboten« nicht schaden. Natürlich hat man sich nach dem Namen desjenigen gerichtet, der da seine Ware angeboten hat, wenn er Hagedorn hieß oder Leineweber, dann ist man gar nicht erst hingegangen, wenn er Skrzypczak oder Bartosiewicz hieß, auch nur höchst ungerne, und wenn er Silberstreif hieß, ist man eben hingegangen. Denn wenn es ums Annoncieren ging, da waren die Leute vom »Landboten« nicht wählerisch, da haben sie jeden gelassen, Hauptsache, man konnte bezahlen. Aber das waren, wie gesagt, nur die Anzeigen, jeden zweiten Mittwoch oder Dienstag, und der Rest war schlicht und einfach Tinnef.
    An alles das hätte man sich rechtzeitig erinnern können, bevor man seinen Kopf derart unnütz in die Schlinge gesteckt und ihn nur durch ein freundschaftliches Wunder wieder herausbekommen hat, so haben sie damals Zeitungen gemacht, und so machen sie heute noch Zeitungen, keiner hat es ihnen inzwischen besser gezeigt. Nur das Talent für gelungene Annoncenteile scheint ihnen geblieben zu sein, die vier zurückgelassenen Seiten voller Gefallenenanzeigen deuten darauf hin, daß immer noch Männer am Werk sind, die ihr Geschäft verstehen.
    Jakob dreht Blatt für Blatt spiegelverkehrt um, noch ist Polen nicht verloren, noch gibt es eine ungelesene Rückseite, die lückenhaft ist wie die Vorderseite, vielleicht aber nicht ganz so maulfaul. Von einem Helden steht dort geschrieben, wie ihn nur unser Volk hervorbringt, von einem Flieger mit französischem Namen, der feindliche Aeroplane wie die Spatzen von Afrikas Himmel schießt. Der Führer hat eine Botschaft des Duce beantwortet, und in München ist ein Lastwagen mit einer Straßenbahn zusammengestoßen, was eine mehrstündige Verkehrsstörung zur Folge hatte.
    Ein gezeichneter Witz. Ein großer Mann hält einem kleinen Mann ein brennendes Streichholz über den Kopf. Frage:
    »Was bedeutet

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