Jakob der Luegner
wäre. Ich bin leider keiner von den Besonderen, die zum Kampf aufrufen, ich kann andere nicht mitreißen, aber ich hätte mitgemacht. Und nicht nur ich, warum hat sich bloß der Mann nicht gefunden, der »mir nach!« rufen konnte, die letzten paar hundert Kilometer hätten nicht so lang und so schwer zu sein brauchen. Das Schlimmste, was uns hätte geschehen können, wäre ein sinnvoller Tod gewesen.
Ich sage, mit Ehrfurcht habe ich inzwischen von Warschau und Buchenwald gelesen, eine andere Welt, doch vergleichbar.
Ich habe viel über Heldentum gelesen, wahrscheinlich zuviel, der sinnlose Neid hat mich gepackt, aber das braucht mir keiner zu glauben. Jedenfalls haben wir bis zur letzten Sekunde stillgehalten, und ich kann nichts mehr daran ändern. Mir ist nicht unbekannt, daß ein unterdrücktes Volk nur dann wirklich frei werden kann, wenn es Beihilfe zu seiner Befreiung leistet, wenn es dem Messias wenigstens ein Stückchen des Weges entgegengeht. Wir haben es nicht getan, ich habe mich nicht von der Stelle gerührt, ich habe die Verordnungen auswendig gelernt, mich strikt an sie gehalten und nur von Zeit zu Zeit den armen Jakob gefragt, was an Neuigkeiten eingegangen wäre.
Wahrscheinlich werde ich nie damit fertig, ich habe es nicht besser verdient, mein ganzer privater Kram mit den Bäumen hat sicher damit zu tun und meine schlimme Rührseligkeit und die Freigebigkeit meiner Tränensäcke. Es hat dort, wo ich war, keinen Widerstand gegeben.
Es heißt, was für deine Feinde gut ist, das ist für dich schlecht.
Ich habe nicht vor, darüber zu streiten, es hätte sowieso nur Sinn an greifbaren Beispielen, an solchen Beispielen, wie ich jetzt eins habe, aber ich will nicht darüber streiten. Mein Beispiel ist der elektrische Strom. Jakob kann gut und gerne auf ihn verzichten, er kommt prächtig ohne ihn aus, was heißt verzichten, niemand hätte je gedacht, wie gut kein Strom sein kann. Außer den Russen und Gesundheit für Lina wünscht sich Jakob nichts so sehr wie keinen Strom. Aber Jakob ist ein einzelner, und wir sind viele, wir wollen Strom, wir sind unseren Vorstellungen hilflos ausgeliefert, wenn schon nicht gleich die Erlöser, dann wenigstens Strom.
Die Deutschen, um auf das Beispiel zurückzukommen, wollen auch Strom, nicht nur weil man sich im Revier bei Kerzenlicht die Augen verdirbt. Die ausgefeilten Pläne geraten durcheinander, kein Stuhl mehr und kein Büffet verlassen die Möbelfabrik, Zangen und Hämmer und Schrauben aus der Werkzeugfabrik fehlen, keine Schuhe, keine Hosen, die Juden sitzen herum und drehen die Daumen.
Zwei Gruppen eilig zusammengesuchter Elektriker schwärmen aus, den Schaden zu finden, Sonderzuteilung mit doppelt Brot und Zigaretten, Tag und Nacht prüfen sie Sicherungen und was zu prüfen ist, wühlen Straßen auf, legen Kabel frei, von unseren guten Wünschen begleitet.
Nach fünf vergeblichen Tagen läßt Hardtloff sie erschießen, von Sabotage wird geredet, was der blanke Irrsinn ist, die Elektriker gehörten alle irgendwie zu Jakobs Kunden und hatten persönliches Interesse, den Defekt zu beheben. Auf dem Platz vor dem Revier werden sie erschossen, wer will, kann zusehen, laßt euch das zur Warnung dienen und tut, was von euch verlangt wird.
Dann rückt ein deutscher Spezialtrupp ein, auf einem Wagen wie Menschen vom Mars. Monturen wie die Taucher, man sieht sie lachen und ihre Wichtigkeit genießen, wir werden das Ding schon schaukeln, Erika, zeigt her, woran sich jüdische Stümper die Zähne ausgebissen haben. Zwei Tage, und dann liegt der wunde Punkt in seiner Blöße, ein Rattenschwarm hatte eine Leitung angenagt, ist an seiner Gier verendet, ein neues Kabel wird in die Erde versenkt, und wieder Büffets, Schuhe, Zangen, Schrauben, Jakobs Radio.
Wir wollen wissen, ob es stimmt, daß sie uns gegen Lösegeld verkaufen wollten. Wenn ja, wo bleibt das Geld? Wir wollen wissen, ob es den Tatsachen entspricht, daß ein jüdischer Staat gegründet werden soll. Wenn ja, wann? Wenn nicht, wer hintertreibt es? Vor allem wollen wir wissen, wo die Russen bleiben, drei Wochen machst du uns den Mund schon wäßrig, wie es dir mit Puffern nie gelungen ist. Erzähle, wie sie die Fronten durchbrechen, welche Taktik sie anwenden, ob sie die Gefangenen als Gefangene behandeln oder als Sträflinge, ob sie im Osten großen Ärger haben mit den Japanern, ob ihnen die Amerikaner nicht wenigstens das abnehmen können, wenn sie schon nicht in Europa landen. Und wir wollen auch
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