Jakob der Luegner
und er nicht, vielleicht ist er auch ehrlich empört über soviel Ungeschick, aber ganz unvermittelt hält er ein in seinem Tagewerk. In ihm regt sich etwas, kein Mitleid und keine Erschöpfung, da verlangt der Durchfall sein Recht, jeder kann es deutlich sehen. Er verzieht das Gesicht und rennt in langen Sätzen zu dem Häuschen, das inzwischen eigens für ihn frei gemacht wurde. Das heißt, er ruft noch:
»Daß mir das ja ordentlich wieder dasteht, wenn ich runterkomme, woll!« Dann erst führt er seine langen Sprünge vor, die trotz allem sich komisch ansehen. Die Sache duldet für ihn keinen Aufschub, jetzt würde er jeden Zeitungsleser mit Nachdruck auffordern, sofort die Stellung zu räumen, unverzüglich, weil sonst ein kleines Unglück geschieht. Aber das kann er sich sparen, er reißt die Tür zu einem leeren Klosett auf, das kleine Unglück wurde in letzter Sekunde gerade noch verhindert.
Von uns Zuschauern wagt es keiner, Kowalski zu helfen oder ihn zu trösten, hier wird gearbeitet und nicht getröstet.
Er wischt sich das Blut aus dem Gesicht, prüft die Zähne, die alle da sind bis auf einen, wenn man die Sache bei Lichte betrachtet, dann hätte es erheblich schlimmer kommen können.
Die Schmerzen werden vergehen, Jakob wird uns bleiben, nach dem Krieg schenken wir ihm ein exklusives Wasserklosett, auf dem kann er nach Herzenslust stundenlang sitzen und an seinen guten Freund Kowalski denken.
Um den Rest des Kistenstapels herum kommt der wunderbar Gerette, hinter dem Rücken von Kowalski, der sich noch befühlt. Jakob sammelt Mut, ihm unter die Augen zu treten, denn den wahren Grund für den gewagten Ausflug darf Kowalski nicht erfahren. Gerade er nicht, er hat es sich verdient, mit diesem Grund nicht behelligt zu werden, für ihn muß es eine unbegreifliche Laune Jakobs bleiben, die um ein Haar den Kopf gekostet hätte.
»Ich danke dir«, sagt Jakob mit bewegter Stimme. Bewegt ist schon das richtige Wort, nach vierzig Jahren zum erstenmal bewegt, man bekommt nicht jeden Tag das Leben gerettet, dazu noch von einem, den man so lange kennt und von dem man es, ganz ehrlich gesprochen, nicht erwartet hätte.
Kowalski verschwendet keinen Blick an ihn, er steht ächzend auf und macht sich über die Kisten her, die lieber aufgebaut sind, bevor der Soldat von seiner Not zurückkommt und nachprüft, was sein Wort hier gilt. Sie könnten alle noch schön ordentlich in Reihe und Glied stehen, ebenso wie die wenigen Zähne im Mund, wenn Jakob ein normaler Mensch wäre, wenn er nicht unverantwortlich wundersamen Gelüsten nachgegeben hätte, und andere müssen bitter dafür bezahlen.
Jakob läßt die Hände fliegen, auf eine Kiste von Kowalski kommen drei von ihm, wobei für Kowalski die Schuldfrage eine Rolle spielt, die Wut und sicher auch die Schmerzen.
»Hast du wenigstens gut geschissen?« erkundigt sich Kowalski und hat Mühe, nicht zu schreien. »Sieh dir mein Gesicht an, sieh es dir gut an, schön muß es aussehen! Das war nicht er, das warst du! Aber was rege ich mich auf, Hauptsache du hast herrschaftlich geschissen, alles andere ist ja unwichtig. Nur eins kann ich dir schwören, Heym, versuche das noch einmal! Versuche es ruhig, dann wirst du sehen, wer dir hilft!«
Jakob verschanzt sich hinter Arbeit, Kowalski hat ja recht, von seiner Warte. Was ihn besänftigt, das darf Jakob nicht sagen, und jedes andere Wort wird neuen Ärger bringen.
Später, Kowalski, wenn das hier überstanden ist, wenn wir zwei irgendwo still bei einem Schnäpschen sitzen, wenn in der Pfanne die Puffer knistern, dann werde ich dir alles erklären. In aller Ruhe, Kowalski, du wirst die ganze Wahrheit hören, wir werden lachen und den Kopf schütteln, was das für verrückte Zeiten waren damals. Du wirst mich fragen, warum ich das nicht gleich gesagt habe, wenigstens dir, meinem besten Freund, und ich werde antworten, das konnte ich doch nicht, weil du es sonst allen erzählt hättest, und sie hätten mich für einen von den tausend Lügnern und Gerüchtemachern gehalten und wären wieder ohne Hoffnung gewesen. Und dann wirst du mir die Hand auf den Arm legen, weil du es vielleicht verstehst, und wirst sagen:
»Komm, Jakobleben, wir trinken noch einen Wodka.«
Als die Klosettür wieder aufgeht nach reichlicher Zeit, reckt sich der Kistenstapel stolz in die Höhe, als hätte nie jemand an seinem Umsturz gearbeitet. Der Soldat nähert sich gemächlich, die Hände auf dem Rücken, Montur in Ordnung, er wird auch schon
Weitere Kostenlose Bücher