Jakob der Luegner
wissen, was die Karriere von Kiepura macht, wie er sich zurechtfindet in Amerika. Eine Menge an Neuigkeiten muß inzwischen aufgelaufen sein, schön, sie werden keine Zusammenfassung extra für uns senden, sie haben keine Ahnung, wie wir unter der Stromsperre gelitten haben, aber einiges erfährt man schon neben dem Allerneuesten, laß bitte nichts aus, hörst du, bitte nichts.
Bedauernswert ist Jakob. Ein gut eingerichtetes Büro müßte er haben, ein Hauptquartier mit drei Sekretärinnen, besser noch mit fünf. Ein paar Verbindungsmänner in allen wichtigen Hauptstädten, die pünktlich und zuverlässig jede ausspionierte Kleinigkeit ins Hauptquartier schicken. Wo die Sekretärinnen mit rauchenden Köpfen die Kleinigkeiten aussortieren, und sämtliche Zeitungen von Rang lesen, und alle Sender abhören, und aus allem den Extrakt gewinnen und ihn Jakob vorlegen als dem Endverantwortlichen, dann könnte er ungefähr ein Drittel der Fragen wahrheitsgemäß beantworten, so wahr wie Zeitungen und Sender und Verbindungsmänner eben sind.
In der Tasche der Pfeife steckt eine Zeitung. Die Pfeife kommt aus dem Steinhaus, geht an den Waggons vorbei, das Holzbein hinter sich herschleifend, mitten durch die Juden, die nicht einmal wahrnehmen, was da an ihnen vorbeihinkt, was kümmern uns Zeitungen, wir haben Jakob. Nur Jakob sieht und kümmert sich, die Lupe in seinen Augen läßt die Kostbarkeit in der Tasche des Eisenbahners nicht los, ein Papierchen mit wahren oder erlogenen Berichten über tatsächlich Geschehenes, auf jeden Fall unendlich mehr wert als ein Nichts von einem Radio. Entlastung für seinen erschöpften Erfindergeist, wenn ein verwegener Besitzertausch gelingen sollte.
Hinter dem letzten Gleis erreicht die Pfeife ihr Ziel, ein nur für Deutsche reserviertes Holzhäuschen, an der Tür steht es so geschrieben, gleich unter dem Herzchen, das sie nachträglich reingeschnitzt haben, nach heimatlichem Brauch, könnte ich mir denken.
Jakob läßt sich durch die Tragerei mit Kowalski nicht ablenken, immer ein Auge auf dem Häuschen, wenn die Zeitung soeben noch komplett war, wie es den Anschein hatte, und der Eisenbahner kein allzu großer Verschwender ist, müßte ein Rest übrigbleiben. Wenn der Eisenbahner kein Geizhals ist, müßte er den Rest liegenlassen. Verschwender darf er nicht sein, Geizhals darf er nicht sein, nichts spricht dafür und nichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit findet, wird Jakob diesen Rest holen. Doch welche Gelegenheit auch kommen wird, lebensgefährlich wird sie immer sein, was hat ein Jude auf einem deutschen Klosett verloren, für euch riskier ich Kopf und Kragen, Brüder. Ich will nicht Kartoffeln stehlen wie Mischa, der praktischer veranlagt ist und zwei mal zwei denkt, ich werde, wenn es gut geht, ein paar Gramm Nachrichten entführen und mache euch eine Tonne Hoffnung draus. Hätte mich meine Mutter mit einem klügeren Kopf geboren, phantasiebegabt wie Scholem Alejchem, was rede ich, die Hälfte würde schon genügen, dann hätte ich solchen Mundraub nicht nötig, ich könnte mir zehnmal mehr und Besseres aus den Fingern saugen, als die in ihren Zeitungen schreiben können. Aber ich kann es nicht, ich kann es nicht, ich bin leer, daß es mich schon erschreckt, ich werde es für euch tun, für euch und für mich, ich tue es auch für mich, denn es steht fest, daß ich als einziger nicht überleben kann, nur zusammen mit euch. So sieht ein Lügner von hinten aus, ich werde in ihr Klosett gehen und mir nehmen, was noch da ist, es soll nur etwas da sein.
Die Pfeife kommt endlich wieder unter Gottes Sonne, holt ein paarmal tief Luft, zündet sich eine Zigarette an, wozu er in dem Wind vier Hölzer braucht, Zeit läßt er sich zum Erwürgen, aber die Tasche, auf die es ankommt, ist leer. Wie war das noch mit den Zeitungen damals, unsere hatten meistens acht Seiten, vier Blätter, nehmen wir an, seine hatte auch vier, das wäre der Normalfall. Ein Blatt zerreißt man einmal, dann noch einmal, dann ein drittes Mal, das gibt pro Seite, Moment, das gibt pro Seite acht Stückchen. Man kann sie auch viermal zerreißen, dann werden aber die Stückchen schon ziemlich klein, bleiben wir also bei dreimal, er hatte ja genug Papier. Vier Blätter mal acht, das sind zweiunddreißig Stückchen, soviel braucht kein gesunder Mensch, man zerreißt nur eine Seite, und die übrigen legt man sich hin zum Lesen. Aber auch wenn er sie alle zerrissen hat, auf jeden Fall liegt noch etwas da, wenn er
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