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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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das?« Antwort: »Dover unter Feuer.« Und eine dicke Balkenüberschrift, die behauptet, Siege an allen Fronten!
    Man kann ihr glauben oder nicht, wir wollen es lieber nicht tun, ihr Unterteil fehlt. Sie steht als Behauptung sozusagen in der Luft, und wir wissen, daß sie schon bei Moskau gewesen sein wollen. Behauptet haben sie das, nicht wir, aber wir haben selbst gehört, daß bei Bezanika gekämpft wird. Da liegt ein ordentliches Stück dazwischen, wenn so ein Sieg aussieht, dann gönnen wir euch hunderte von der Sorte.
    Schön und gut, Jakob kann sich ausrechnen, daß sie ein bißchen flunkern, was aber soll er auf die Fragen antworten, die gleich morgen früh auf ihn regnen werden? Er hat sich das, erzählt er mir seufzend, entschieden zu simpel vorgestellt.
    Man liest ihre Zweckmeldungen, hat er gedacht, man durchschaut sie ohne oder mit ein wenig Mühe, dreht alles einfach um, und schon tummeln sich im Mund die Neuigkeiten, man kann sie zu gegebener Zeit herauslassen. Aber jetzt geh hin und dreh einfach um. Die Boxer der Luftwaffe haben gegen die Marine nicht gewonnen, sondern verloren, der Gauleiter mit dem abgerissenen Namen fand die Kunstausstellung miserabel, der deutsche Held trifft in Afrika kein einziges feindliches Flugzeug, die Straßenbahn in München ist dem Lastwagen geschickt ausgewichen, und der Führer hat die Botschaft des Duce nicht beantwortet, weil er nie eine erhalten hat. Ich sage dir ja, alles Tinnef.
    Vielleicht gibt der Witz etwas her, denke ich noch, Dover unter Feuer heißt, Dover wird beschossen, Dover liegt, wenn nicht alles täuscht, in England, und wenn sie England beschießen, wird England sie beschießen, das ist wahrscheinlich.
    Wunderbar, werden sie mir morgen früh sagen, also England wehrt sich, aber England ist weit, und was wird mit uns?
    Höchstens daß man aus den Siegen an allen Fronten Niederlagen machen könnte, doch was weiß ich über Fronten, wo sie sind, wie viele es gibt, Niederlagen müssen mit Einzelheiten belegt werden, ich kenne keine, was hättest du an meiner Stelle getan? Jakob faßt einen bedeutsamen Entschluß.
    Die Stromsperre war eine paradiesische Atempause mit dem einzigen Nachteil, daß man auf ihre Länge keinen Einfluß hatte.
    So eine Atempause verschaffen wir uns wieder, aber ohne den Nachteil, denn die Pause, die wir im Auge haben, kennt kein Ende. Wenn sie uns fragen, was gibt’s Neues, Jakob, dann lassen wir die Schultern hängen und machen unser traurigstes Gesicht und flüstern ihnen mit verzweifelter Stimme: Stellt euch nur vor, Juden, letzte Nacht setze ich mich mit erwartungsvollen Ohren vor meinen Apparat und drehe am Knopf, wie ich es immer tue, aber es kommt kein Ton heraus! Nicht einer!
    Versteht ihr, gestern singt er noch wie ein Vögelchen, und heute schweigt er sich aus. Da hilft kein Jammern, Juden, ihr wißt, was für ein launisches Ding so ein Radio sein kann, jetzt ist es kaputt! Das Radio ist kaputt. Jakob knüllt die Blättchen zusammen, alle neun zu einem kleinen Haufen, der Ärger, daß ihm die glänzende Idee nicht schon früher gekommen ist, hält sich in Grenzen. Viel größer ist die Entdeckerfreude, wenn das Klosettpapier zu nichts anderem nütze war, als dazu, ihn zu erleuchten, dann hat es sich trotz allem gelohnt, dann war der Preis, den Kowalski gezahlt hat, nicht zu hoch. Man wird jetzt nicht mehr Nacht für Nacht mit wachen Augen liegen müssen und sich den Kopf martern, was man ihnen am nächsten Tag vorlügen soll, man kann jetzt Nacht für Nacht mit wachen Ohren liegen und wie alle anderen horchen, ob in der Ferne der ersehnte Kanonendonner nicht endlich aufhört zu schweigen.
    Das Radio ist kaputt, die Blättchen fliegen in den Ofen, anzünden wird sie Jakob, wenn Heizen nötig ist, die Ofenklappe wird geschlossen.
    Gerade rechtzeitig genug, denn Jakob hat vorhin in seiner Hast vergessen, die Tür abzuschließen, und die geht auf, die lächelnde Lina tritt herein ohne anzuklopfen.
    »Hast du mich heute vergessen?« fragt sie.
    »Aber nein«, sagt Jakob und gibt ihr ihren Kuß und schließt wenigstens jetzt die Tür zu. »Ich wollte gleich zu dir nach oben kommen, ich hatte bloß noch was zu tun.«
    »Was denn?«
    »Nichts, was du unbedingt wissen mußt. Hast du schon dein Abendbrot gegessen?«
    »Ja, was du mir hingelegt hast.«
    Lina sieht sich im Zimmer um, sie sucht nichts Bestimmtes, nur ob Ordnung ist und kein Staub. Ihr Finger zieht eine Bahn über den Schrank, wird begutachtet, das Ergebnis ist

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