Jakob der Luegner
herrschsüchtig, manchmal zu geschwätzig, manchmal nicht häuslich genug, und auch sie hat dies und jenes Haar an ihm gefunden, ohne daß es deswegen gleich zum Bruch gekommen wäre. Ganz im Gegenteil, sie sind trotz allem ordentlich miteinander ausgekommen, und Jakob dachte schon, so bald hörte das nicht auf. Aber als sie ihm plötzlich, was heißt plötzlich, vorgeschlagen hat, sie sollten vielleicht doch besser in eine gemeinsame Wohnung ziehen und daß sie im Laden helfen könnte, da hat er gefürchtet, er wird sein eigener Angestellter und hat gesagt: »Darüber reden wir später.«
Dann eben später, Josefa hatte keine Eile, so schien es jedenfalls. Bis, wie gesagt, der bewußte Abend an der Reihe war, der in der Libauer 38, an dem Jakob das Glück seines Lebens verspielt oder gewonnen hat, wer will das wissen. Er ist gekommen wie immer, hat sich die Schuhe ausgezogen, die Füße auf das Sofa gelegt wie immer, Josefa stand mit dem Rücken zu ihm am Fenster.
»Was ist heute mir dir los?« hat Jakob sie gefragt. »Gibt es keinen Tee?«
Josefa hat sich nicht sofort umgedreht, aber bald. Sie hat ein ungemütliches Gesicht gemacht und sich nicht neben ihn auf das Sofa gesetzt, sondern in den Sessel gegenüber.
»Jakob Heym, ich muß mit dir reden.«
»Bitte«, hat er gesagt, auf allerhand gefaßt, doch nicht auf das, was nun gekommen ist.
»Kennst du Awrom Minsch?«
»Sollte ich ihn kennen?«
»Awrom Minsch ist der Mann, mit dem ich am allerersten Tag in deine Diele gekommen bin, falls du dich erinnerst.«
»Ich erinnere mich genau. Du hast damals gesagt, er ist ein flüchtiger Bekannter.«
»Heute früh hat mich Awrom Minsch gefragt, ob ich seine Frau werden will.«
»Und was hast du ihm gesagt?«
»Jakob, es ist ernst! Du mußt dich endlich entscheiden!«
»Ich?«
»Hör auf mit deinen Witzen, Jakob. Ich bin jetzt achtunddreißig. Ich kann nicht immer so weiterleben. Er will zu seinem Bruder nach Amerika, er hat mich gefragt, ob ich als seine Frau mitkommen will.«
Was sollte Jakob da antworten, die Pistole auf der Brust hat ihm nicht behagt, vor allem aber nicht, daß Awrom Minsch ihm bis zur Stunde verschwiegen worden war. Einen Heiratsantrag macht man keiner flüchtigen Bekannten, ein wenig muß man sie zu diesem Zweck schon kennen, und vier Jahre lang hat man sich eingebildet, man weiß alles voneinander bis zum letzten Rest. Der Umstand, daß Josef ihm nun gewissermaßen das Vorkaufsrecht überließ, hat Jakobs Enttäuschung nicht vertreiben können, längst nicht. Er hat sich schweigend die Schuhe wieder angezogen, hat bis zur Tür sorgfältig vermieden, ihren Augen zu begegnen, bei geöffneter Tür hat er verlegen gesagt: »Ich muß die Sache erst in Ruhe überdenken.«
Man überdenkt und überdenkt und wird damit bis auf den Tag nicht fertig, so lang sind auch zwei geschenkte Stunden nicht, ein mitleidiger Mensch öffnet sein Fenster und ruft leise über den Hof: »Hallo, Sie!«
Jakob schreckt auf und sieht den Mond am Dach, Jakob fragt:
»Was ist?«
»Sie wohnen doch nicht in diesem Haus?«
»Nein.«
»Es ist schon lange sieben vorbei.«
»Danke.«
Jakob rafft sich auf, der Heimweg ohne Aufenthalt, wobei weitere erinnerungsverdächtige Häuser unbeachtet bleiben, es ist schon lange sieben vorbei.
Lina liegt bereits im Bett, man muß ihr erklären, warum man heute so ungewöhnlich spät von der Arbeit kommt, weil heute besonders viel zu verladen war. Sie redet daraufhin nicht von privaten Sorgen, mit Märchen etwa oder mit allzu mißtrauischen Nachbarssöhnen, und Jakob kann sie schlecht danach fragen. Sie weiß, wie anstrengend die Bahnhofstage sind, dazu noch die zusätzliche Arbeit, er soll sich nicht lange aufhalten, ihr schnell den Kuß geben und in sein Zimmer gehen, die Liebe ist ganz gegenseitig.
Jakob verläßt sie mit einem Gewissen, das reiner sein könnte, auf der Treppe nimmt er sich eine Entschädigung für Lina vor, für morgen oder für die nächste Zeit. An seinem Tisch ist er, mittlerweile, nicht unzufrieden mit dem letzten Tag, alles in allem, vor seinem Abendmahl aus Brot und Malzkaffee: Auf dem Bahnhof waren die Juden genügsam und zurückhaltend, die Schlacht an der Rudna hat noch nachgewirkt, dann zwei verträumte Stunden als Präsent, vergnügliches Märchen an der Bodentür, weniger vergnüglich Aaron Ehrlicher, aber dann Josefa. Josefa immer noch, zwischen den wenigen Bissen, zwischen den Schlucken, man wird das Weib einfach nicht los, was wäre aus uns
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