Jakob der Luegner
Fremder auf ihrem Hof zu suchen hat, aber so fremd bist du hier nicht. Im dritten Stock, hinter der letzten Tür auf dem Gang links, dort hast du, hochtrabend ausgedrückt, das Glück deines Lebens verspielt oder gewonnen, du hast dich nicht entscheiden können, als es darauf ankam, und weißt heute noch nicht, wie gut oder wie schlecht das war. Josefa Litwin hat dich ins Gesicht gefragt, woran sie bei dir ist, und dir wollte nichts Klügeres einfallen, als den Kopf zu senken und zu stammeln, du brauchst noch etwas Zeit zum Überlegen.
Ein Prachtweib war sie, wenn die Augen zu bestimmen haben, du hast sie in der Eisenbahn zum erstenmal gesehen und gleich gedacht: Jungejunge! Sie trug ein Kleid aus grünem Samt mit weißem Spitzenkragen, dazu einen Hut, nicht kleiner als ein aufgespannter Regenschirm. Und war allerhöchstens Mitte Dreißig, also genau das Richtige für dich mit deinen vierzig damals, das Richtige, was das Alter anging. Aber du hast in dem Abteil im Traum nicht erwogen, daß dort, dir gegenüber, dein größtes Problem der nächsten Jahre sitzt. Du hast sie nur angegafft, mir erzählst du, wie ein junger Idiot, vielleicht ist es ihr nicht mal aufgefallen.
Ein Zufall oder keiner, als ihr zusammen ausgestiegen seid, kein Träger in der Nähe, hat sie dich gefragt, ob du ihr nicht den schweren Koffer tragen könntest, sie wohnt nur ein paar Straßen weiter, in der Libauer Gasse Nummer 38. Aber sie hat dich nicht gefragt wie einen Mann minderer Stellung, obwohl du auch dann nicht abgelehnt hättest, sie war hilflos und freundlich und hat dich in ihrer Eigenschaft als schwaches Weib um einen Gefallen gebeten. In deiner Eigenschaft als Kavalier.
Voller Freude hast du gesagt: »Was für eine Frage!« Hast ihren Koffer an dich gerissen, als hättest du Angst, es könnte doch noch ein Träger erscheinen, und bist hinter ihr hergelaufen, bis zur Nummer 38, bis vor ihre Wohnungstür. Dort hast du den Koffer abgestellt, für Sekunden habt ihr euch verlegen angelächelt, dann hat sie sich nett bedankt und »auf Wiedersehen« gesagt. Und du bist dagestanden und hast gedacht: Schade.
Ein paar Wochen später, und das war bestimmt ein Zufall, ist sie an einem Nachmittag in deine Diele gekommen, in Begleitung eines Mannes. Du hast sie gleich erkannt, dich ohne jedes Recht über den Mann geärgert, aber dann hast du dich gefreut, weil sie dich auch erkannt hat. Kein Wort habt ihr gesprochen, die beiden haben Limonade getrunken und Himbeereis gegessen, du hast sie beobachtet und nicht erkunden können, wie die zwei zueinander standen, wozu auch.
Aber als sie schon am nächsten Tag wiedergekommen ist, diesmal alleine, da hast du gewußt, das ist kein Zufall. Zum erstenmal warst du zufrieden, daß deine Diele leer war, außer ihr saß kein Gast im Raum, und gleich am nächsten Tag.
Du hast dich zu ihr gesetzt, ihr habt geschwatzt und euch bekannt gemacht, sie war seit vier Jahren die Witwe eines Uhrmachers. Das Eis, das sie verzehrt hat, hast du dir selbstverständlich nicht bezahlen lassen, sie durfte sich als eingeladen betrachten, für heute und so oft sie immer wollte.
Der Mann von gestern wurde flüchtiger Bekannter genannt, kein Grund, sich nicht öfter zu treffen, auch sonst kein Grund.
Also auf morgen in der Diele, noch einmal in der Diele, dann in einem anderen Restaurant, an neutralem Ort sozusagen, ein Tänzchen in Ehren. Dann bald bei dir in der Wohnung, über ihre bescheidenen, doch keineswegs dürftigen Vermögensverhältnisse warst du inzwischen unterrichtet, und daß sie kinderlos war, endlich auch in der Nummer 38. Ein Täßchen Tee und selbstgebackene Törtchen, Parfüm lag zart und süßlich in der Luft, von Sympathie, vom ersten Augenblick an, eigentlich, war die Rede, und noch ein Täßchen, und draußen war noch mehr Kuchen.
Das ist ein Abend gewesen, wie ihn kein Dichter je beschrieben hat, mein Gott, und eine Nacht, mein Gott, na ja.
Was soll man sagen, die Geschichte handelt nicht von Jakob und Josefa, bald muß auch diese Seite umgeschlagen werden.
Soviel noch, vier volle Jahre haben sich daraus ergeben, vier Jahre Zusammenleben wie Mann und Frau, wenn sie auch nie endgültig zusammengezogen sind, wenn auch immer ein Thema ausgeklammert wurde: Rabbiner oder Standesamt. Am gründlichsten wohl von Jakob. Man hat Gelegenheit gehabt, sich ausgiebig zu erforschen, Josefa ist nicht alles Gold was glänzt gewesen, auch weniger kostbare Metalle waren verarbeitet. Manchmal fand Jakob sie
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