Jakob der Luegner
Geschichte. Denkst du, es gibt bloß ein Märchen, wo eine Prinzessin vorkommt?«
»Dann erzähl’s doch endlich!«
»Wollen wir nicht auf Siegfried warten?«
»Er kommt ja nicht.«
Jakob hört, wie sie warten, das Bodenfenster schlägt an, Rafael brüllt: »Siegfried!«
Dann sagt er, daß Siegfried nirgends zu sehen ist, und bald darauf verlangt Lina kreischend, Rafael soll mit dem Quatsch aufhören. Mit welchem weiß man nicht, aber er hört wohl nicht gleich auf, dann fragt er: »Von wem hast du denn die Geschichte gehört?«
»Von Onkel Jakob.«
Das gibt zu denken, wenn man heimlich vor der Tür steht.
Nie hat ihr Jakob ein Märchen von einer Prinzessin erzählt, er müßte sich auf jeden Fall daran erinnern, das war der Märchenonkel, und sie macht ohne Zittern in der Stimme aus zwei verschiedenen Leuten einen Mann. Das gibt zu denken, womöglich hat Jakob auch die Marschmusik gespielt und Fragen gestellt und Antworten gegeben. Oder aber, Lina hat sich in der Eile versprochen, oder, was das beste wäre, sie greift zu einer Notlüge, um das Radio nicht zu verraten. Das bleibt dahingestellt, man wird sich noch darüber unterhalten müssen.
»Er kommt nicht mehr. Fang jetzt an«, sagt Rafael.
So geschieht es, Lina hüstelt, Jakob spitzt die Ohren, er hat noch nie gehört, wie seine Informationen weitergegeben werden.
»Es war einmal ein König, ein guter alter, und er hatte eine Tochter, das war die Prinzessin«, beginnt Lina.
»Wie hat der König geheißen?«
Lina scheint nachzudenken, ob Namen überhaupt erwähnt wurden, für Rafael zu lange, er sagt: »Du mußt doch wenigstens wissen, wie er geheißen hat?«
»Sein Name war Benjamin«, erinnert sich Lina. »Und die Prinzessin hieß Magdalena.«
»Wie hat er geheißen? Benjamin? Weißt du, wer Benjamin heißt? Mein Onkel in Tarnopol, der heißt Benjamin. Aber doch kein König!«
»Du kannst es glauben oder nicht, der König in dem Märchen hieß jedenfalls Benjamin.«
»Na meinetwegen«, sagt Rafi großzügig, am Namen soll es nicht scheitern, Jakob ist fast sicher, daß er die Arme vor der Brust verschränkt in gönnerhafter Weise.
Lina redet weiter, aber hastiger als zu Anfang, wie aus dem Konzept gebracht, wie in Erwartung weiterer Einwände:
»Eines Tages wurde die Prinzessin krank. Der Arzt konnte nichts finden, weil er ihre Krankheit nicht kannte, aber sie wollte kein Brot mehr essen, und trinken wollte sie auch nicht mehr. Da ist der König selber zu ihr gegangen, er hatte sie nämlich schrecklich gerne, das hab ich noch vergessen.
Und er hat sie gefragt, was ihr fehlt. Da sagte sie ihm, sie wird nicht früher wieder gesund, bis ihr jemand ein Stück Watte bringt, das so groß sein muß wie ihr Kopfkissen. Und da ist der alte König …«
Doch weiter kommt sie nicht, jetzt reicht es Rafael, er hat sich große Mühe gegeben und geduldig zugehört, aber was zuviel ist ist zuviel, seine Leichtgläubigkeit hat weite, aber Grenzen.
»Was für eine Krankheit soll deine Magdalena gehabt haben?«
»Hast du doch gehört.«
»Und ich sage dir, so eine Krankheit gibt es überhaupt nicht!
Auf der ganzen Welt nicht!«
»Das weißt du doch nicht!«
»Wenn sie wenigstens Masern hätte, oder Keuchhusten, oder Typhus«, sagt Rafael erschüttert. »Weißt du, was die Prinzessin in Wirklichkeit gehabt hat? Einen Furz im Kopf!«
Er lacht, viel lauter als Jakob, aber Lina kann nichts Komisches an seiner Erklärung finden. Sie fragt: »Willst du die Geschichte weiterhören oder nicht?«
»Ich will nicht«, sagt Rafael, immer noch erheitert, die besten Witze sind die eigenen. »Weil sie nämlich einen Furz im Kopf gehabt hat. Weil die ganze Geschichte nämlich ein einziger Quatsch ist. Zuerst das mit dem König, auf der ganzen Welt findest du keinen König, der Benjamin heißt.
Und dann essen Prinzessinnen niemals Brot, sondern immer bloß Kuchen. Und der allergrößte Quatsch ist diese Krankheit.
Oder hast du im Ernst schon mal gehört, daß man krank werden kann, wenn man keine Watte hat?«
Lina scheint von Rafaels Beweisführung beeindruckt, zumindest schweigt sie, hoffentlich ohne Tränen, denkt Jakob.
Und er bleibt dabei, sie ist ein kluges Mädchen, Fehler unterlaufen jedem, die Aufregung im Keller kann an dem Mißverständnis Schuld getragen haben, oder in Linas Alter ist man mit solchen Gedankensprüngen einfach überfordert.
Jakobs Hand liegt wieder auf der Klinke, eingreifen sollte man, trösten und erklären, sie werden noch, was
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