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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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zwei Hübschen bloß geworden, wenn ich damals in der Nummer 38? Man weiß es nicht, und doch beantwortet sich die tausendmal gestellte Frage fast von selbst, ein Leben mitten zwischen Paradies und Hölle wäre es geworden, also ein ganz gewöhnliches. Wie hätte es denn anders werden sollen, und wodurch, als jene vier bekannten Jahre? Die angefüllt gewesen sind mit Abwechslung, Streit und Mißverstehen, mit Launen, Spaß und mit ein wenig Behaglichkeit. Und mit Verschweigen, wie man erst am allerletzten Tag erfahren hat. Man wird das Weib einfach nicht los, erst als es klopft.
    Es klopft, Jakob hätte sofort Lust zu rufen: »Herein, Kowalski!« Das heißt, nicht direkt Lust, bloß er vermutet, aber dann vermutet er nicht mehr, weil es vor über einer Stunde sieben vorbei war, jetzt also lange acht schon, und so verrückt ist selbst Kowalski nicht. Jakob ruft: »Herein!«
    Professor Kirschbaum beehrt Jakob beim Abendbrot, ob er stört, nein gewiß nicht, er möge doch Platz nehmen, was uns das seltene Vergnügen verschafft.
    Kirschbaum setzt sich, zögert den Beginn der Unterhaltung mit mannigfachen Blicken hinaus, er verschafft sich besorgte Aufmerksamkeit, Jakob weiß nur nicht wofür.
    »Können Sie sich nicht denken, weswegen ich Sie aufsuche, Herr Heym?«
    Der erste Gedanke: »Ist es wegen Lina? Geht es ihr wieder schlechter?«
    »Ich komme nicht wegen Lina. Ich komme, um gleich in medias res zu gehen, weil ich mit Ihnen über Ihren Radioapparat sprechen möchte.«
    Da ist man enttäuscht, da ist man betroffen, für ein paar Stunden hatte man das Ungetüm glücklich vergessen, gleich wird die Schlacht an der Rudna wieder herhalten müssen.
    Man ist seinen Mitbürgern kein Mensch mehr, man ist Besitzer eines Radios, unvereinbar miteinander, wie sich seit langem erweist, nun wieder, das Recht auf die normalen Gespräche alter Zeiten ist verwirkt. Über das Wetter, oder über die Schmerzen im Kreuz, wofür Kirschbaum ein idealer Partner wäre, Klatsch über gemeinsame Bekannte, von penetranten kleinen Dingen wird in deiner Nähe nicht gesprochen, dafür bist du mit deinem Schatz zu schade.
    »Sie wollen auch Nachrichten hören«, sagt Jakob, stellt es mehr fest, jetzt auch Kirschbaum am Halse, na schön, einer mehr oder weniger.
    »Ich will keine Nachrichten hören«, sagt aber Kirschbaum.

    »Ich bin gekommen, um Ihnen Vorwürfe zu machen.
    Längst schon hätte ich das tun sollen.«
    »Vorwürfe?«
    »Ich weiß nicht, werter Herr Heym, von welchen Beweggründen Sie sich leiten ließen, als Sie die bewußten Informationen verbreiteten. Doch ich kann mir nur schwer vorstellen, daß Sie sich wohl überlegt haben, welcher Gefahr Sie uns alle dadurch aussetzen.«
    Nicht Nachrichten, sondern Vorwürfe, Einfälle muß man haben, es bleibt dabei, Kirschbaum ist ein ganz und gar besonderer Mensch. Mußt du Professor mir in meinen Feierabend spucken, in meinen schwerverdienten, mußt mir gleich höchst verantwortungsbewußte Reden halten, von Dingen, die ich schon an den Sohlen abgelaufen habe, als dir mein Radio noch ein verborgenes Ding mit sieben Siegeln war, du mir. Anstatt mir auf die Schulter zu klopfen und zu sagen, bravo Herr Heym, machen Sie weiter so, die Leute brauchen keine Medizin so sehr wie Hoffnung, oder wenn schon nicht das, anstatt gar nicht erst zu kommen, denn man hat längst gelernt, auf Schulterklopfen zu verzichten, da klopfst du mir an die Tür, der Teufel soll dich holen, und mischst dich ein und willst mich überleben lehren. Und zu allem Überfluß, ein aufmerksames Gesicht muß man sich aufsetzen, weil deine Bedenken doch durch und durch ehrbar sind, weil man dich eventuell noch brauchen wird für Lina, und gute Gründe für sein Tun muß man dir auch vorweisen, obwohl einem nichts einfallen will, was dich weniger angeht. Bloß damit dein gelehrter Mund nach langen Erklärungen in der Lage ist zu sagen: »Ach so, ja, ja, ich verstehe schon.«
    »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wo wir leben, lieber Herr Heym«, sagt Kirschbaum.

    »Das brauchen Sie nicht«, sagt Jakob.
    »Und doch scheint es mir dringlich. Was geschieht zum Beispiel, wenn diese Informationen der deutschen Gestapo zu Ohren kommen? Haben Sie daran gedacht?«
    »Ja.«
    »Das kann ich unmöglich glauben. Denn sonst hätten Sie sich anders verhalten.«
    »So«, sagt Jakob. »Hätte ich.«
    Jakob steht auf zu einem Spaziergang, dem wievielten heute schon, vorbei an Tisch und Bett und Schrank und Kirschbaum, der Zorn geht, wenn schon

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