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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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nicht in Worte zu kleiden, in die Beine. Doch nicht der ganze Zorn, dafür ist das Zimmer zu klein, für die Stimme bleibt ein unüberhörbarer Rest, der Kirschbaum im ersten Augenblick pikiert. Als Jakob sagt:
    »Haben Sie ein einziges Mal gesehen, mit was für Augen sie mich um Neuigkeiten bitten? Nein? Und wissen Sie, wie nötig die eine gute Nachricht brauchen? Wissen Sie das?«
    »Ich kann es mir lebhaft vorstellen. Und ich bezweifle auch nicht, daß Sie von besten Absichten geleitet sind. Trotzdem muß ich …«
    »Bleiben Sie mir doch vom Leib mit Ihrem ›trotzdem‹!
    Genügt es Ihnen nicht, daß wir so gut wie nichts zu fressen haben, daß jeder fünfte von uns im Winter erfriert, daß jeden Tag eine halbe Straße zum Transport geht? Das alles reicht noch nicht aus? Und wenn ich versuche, die allerletzte Möglichkeit zu nutzen, die sie davon abhält, sich gleich hinzulegen und zu krepieren, mit Worten, verstehen Sie, mit Worten versuche ich das! Weil ich nämlich nichts anderes habe! Da kommen Sie mir und sagen, es ist verboten.«
    Seltsamerweise denkt Jakob, ausgerechnet jetzt, an eine Zigarette, erzählt er mir, an die Juno ohne Mundstück, woran Kirschbaum denkt, bleibt ungewiß. Jedenfalls greift er in die Tasche seines abgeschabten Zweireihers, man wird es nicht glauben, ausgerechnet jetzt, und holt eine Schachtel heraus.
    Und Zündhölzer, und fragt Jakob, nach dessen kaum verklungenem Geschrei unangemessen höflich:
    »Möchten Sie?«
    Eine Frage, so geht es unter gesitteten Menschen zu, ein feinfühliges Beispiel vielleicht, ein gutes, vielleicht auch Ausdruck aufkommender leiser Zweifel, oder nichts von beiden.
    Man schweigt und raucht und glättet sich die gefurchten Stirnen, jedenfalls.
    Der gierig eingesogene Rauch schafft nicht nur Wohlgefühl, macht auch versöhnlicher, ich will erzählen, Jakob macht beim Rauchen eine Sinneswandlung durch, so etwas Ähnliches. Weil ein edler Spender verschüchtert vor ihm sitzt, Kirschbaum dreht hilflos die Zigarette in seinen schmalen Fingern, wagt kaum noch, einen flüchtigen Blick zu werfen, gar den Mund aufzutun für anderes als für den nächsten Zug. Weil doch gleich unbeherrschte Ausbrüche folgen, bleiben Sie mir doch vom Leib mit Ihrem »trotzdem«.
    Oder: Reicht Ihnen das nicht. Ist gekommen, um sich mit seinem Nachbarn auszusprechen, schließlich ist so ein Radio kein Privatbesitz in dieser Stadt wie Stuhl und Hemd, ist nicht gekommen, um anzuklagen, vielmehr um Wichtiges in ruhiger Rede und Gegenrede zu erörtern, dann das. Da kommen Sie mir und sagen, es ist verboten. Kirschbaum ist nicht gegangen, das deutet auf guten Willen oder auf besonders große Angst, er ist geblieben, hat in die Tasche gegriffen wie ein Zauberkünstler und geheime Wünsche erfüllt, da wird man ihm schon zwei gutnachbarliche Wörtchen gönnen dürfen.

    »Natürlich weiß ich selber, daß die Russen dann auch nicht schneller kommen«, sagt Jakob bei halber Zigarettenlänge.
    »Und wenn ich es tausendmal erzähle, ihr Weg bleibt derselbe. Aber ich will Sie auf eine andere Kleinigkeit aufmerksam machen. Seit sich die Nachrichten im Ghetto herumgesprochen haben, ist mir kein Fall bekannt geworden, daß sich jemand das Leben genommen hätte. Ihnen?«
    Da blickt Kirschbaum erstaunt und sagt: »Tatsächlich.«
    »Und vorher waren es viele, das weiß keiner so gut wie Sie.  Ich kann mich erinnern, daß man Sie oft gerufen hat, und meistens war es zu spät.«
    »Warum ist mir das nicht aufgefallen?« fragt Kirschbaum.

    Einer der nächsten Tage bringt Unerhörtes, ein Auto fährt durch unser Städtchen, der einzige Personenwagen in der langen Geschichte. Unerhört zwar, doch nichts zum Hoffnungen daran knüpfen, selbst für die phantasiebegabtesten unter den kühnen Spekulanten nicht. Man ist geneigt zu sagen, ganz im Gegenteil. Zielstrebig fährt es, ohne Umweg, die genaue Route muß vor Fahrtantritt auf dem Stadtplan studiert worden sein, ein schwarzes, die Straßen werden leer, wie es daherkommt. Im Fond sitzen zwei Männer in Zivil, hinter dem Lenkrad eine gebügelte Uniform, eine Rolle spielen nur die beiden hinten. Das heißt, groß wichtig sind auch sie nicht, wichtig ist im Grunde das ganze Auto nicht, trotz seiner SS-Standarte, und wo es herkommt, und wo es hinfährt, und wen es mitnimmt. Oder ein bißchen wichtig, sagen wir, oder: nicht ganz unwichtig, was die Folgen angeht.
    Die beiden Männer heißen Preuß und Meyer, ich weiß, was sie reden, ich weiß nicht, was

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