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Jakob der Reiche (German Edition)

Jakob der Reiche (German Edition)

Titel: Jakob der Reiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R.P. Mielke
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viel er auch über seine Erfahrungen aus dem Stift und die Erlebnisse der vergangenen Wochen nachdachte – er sah nur zwei Lebensalternativen: Die erste bedeutete die bedingungslose Hinwendung zu einem gottesfürchtigen irdischen Dasein und die Hoffnung auf die Vergebung der Sünden und die Erlösung im Jenseits. Die andere bestand aus rücksichtsloser Selbstbehauptung in einer Gesellschaft, die sich zunehmend von Ordnung und Gesetz lossagte.
    Es gab inzwischen überall Ritter, Grafen und Burgherren, die diesen Weg eingeschlagen hatten. Die Grundherrschaften der kleinen Adligen warfen nicht mehr genug an Gewinnen ab, um es den Rittern zu ermöglichen, ihrer Lehenspflicht zu genügen und dem Landesherrn im Sommer mit Berittenen und Fußvolk samt Ausrüstung und Verpflegung für ein Vierteljahr Heeresfolge zu leisten. Die weltliche Macht beruhte nicht mehr auf dem Aufgebot aus den eigenen Ländereien, sondern auf der Münze, die für Söldner gezahlt wurde, sodass zunehmend schlecht ausgebildete Totschläger ohne Moral und Ehre in den Krieg zogen.
    Jakob wusste, wie teuer alles geworden war und wie karg seit langer Zeit die Einnahmen aus den verpachteten Ländereien flossen. Reichtum war nur noch durch Fernhandel, auf Märkten und in den Städten zu erwerben. Und so biss sich für die traditionsbewusste Ritterschaft die Katze immer schmerzhafter in den eigenen Schwanz: Wer nicht über die Mittel verfügte, sich mit eigenen Soldknechten an einem Heereszug zu beteiligen, dem stand im Falle des Sieges auch keine Beute zu. Das wiederum führte zu immer größerer Unzufriedenheit unter den Rittern, die in kalten Wintern auf ihren schlecht geheizten Burgen saßen und ohnmächtig zusehen mussten, wie Reichtum und Ehre ihres Standes dahinschwanden. Um selbst zu überleben, saßen manche Ritter wie Spinnen auf ihren Burgen und raubten aus, was des Weges kam. Da sie Raub und Mord auf vornehme Art betrieben, genossen die Raubritter dennoch mehr Ansehen als die anderen, die dem gleichen Geschäft nachgingen, aber kein Wappen im Schild führten und keinen gemalten Adelsstammbaum vorzuweisen hatten. Den Opfern jedoch konnte es egal sein, ob sie in den Wäldern und Hohlwegen von berühmten Raubrittern oder von namenlosen Räuberbanden erschlagen wurden.
    Nur drei Monate nach dem Abzug des kaiserlichen Hofstaats trafen die Fuggerbrüder in Nürnberg wieder zusammen. Peter, der fünfte der Brüder, war überraschend gestorben. Obwohl erst dreiundzwanzig Jahre alt, hatte er das Fuggerkontor in Nürnberg so selbstständig geführt, wie dies vom Leiter einer Fuggerschen Faktorei erwartet wurde. Jakob wusste nicht viel von Peter, der ebenso wie Hans und Andreas zumeist auf Reisen gewesen war. Es hieß, dass er sogleich nach dem Tod des Vaters rebelliert hatte, um nicht unter Ulrichs Aufsicht arbeiten zu müssen.
    Noch am offenen Grab des Bruders auf dem Kirchhof von Sankt Sebald unterhalb der Burg beschlich Jakob das Gefühl, dass sich etwas Unheilvolles anbahnte. Denn während die Trauergäste ihre Handvoll Erde auf den Sarg warfen, murmelten einige von ihnen Ulrich und Georg etwas zu. Nur bei einem verstand Jakob, was er sagte: »Es ist gut, dass ihr den Grabstein bereits aus Augsburg mitgebracht habt. Möge der Mantel der himmlischen Maria euch Fuggerkinder so beschützen, wie es hier dargestellt wird.«
    Jakob durfte noch einige Tage in der Nürnberger Faktorei bleiben. Nach Peters Tod sollte Georg, der Zweitjüngste, dort die Geschäfte übernehmen. Wie sonst nur um die Jahreswende trafen in der Trauerwoche keine Waren mehr ein. Erwartete Lieferungen wurden gleich nach Frankfurt oder Augsburg umgeleitet. Nichts ging hinaus und nichts kam neu hinzu, um Bilanz zu ziehen bei dem, was Peter von seinem Erdenleben hinterlassen hatte.
    Das übliche Tagewerk von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang musste ruhen. Dafür wurde alles, was in den Lagerräumen gestapelt war, einzeln hervorgenommen und überprüft. Erst wenn die Waren zweimal gewogen, erneut verpackt und am inzwischen gereinigten Platz wieder aufgestellt worden waren, durften die Ergebnisse in die Listen des Bestandes eingetragen werden.
    Jakob kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. In diesen Tagen in der Faktorei entdeckte er Schätze, die er nicht einmal vom Hörensagen kannte. Dennoch schleppten die Schreiber und die Knechte die vielfältigen Waren ohne Respekt und allzu große Sorgfalt hin und her.
    »Irgendwann wird uns der neue junge Herr noch alle Pfefferkörner einzeln zählen

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