Jakob der Reiche (German Edition)
bereits, als er endlich zum Abt gerufen wurde. Er mühte sich, ein fröhliches Gesicht zu machen, weil er nicht zeigen wollte, was er bereits gehört hatte.
Abt Wolfgang und Ulrich Fugger saßen allein im Refektorium. Die langen Bohlentische waren bereits mit Holztellern, Steingutkrügen für das Bier und Brotlaiben eingedeckt. Nur Obst und Suppe fehlten noch, und die anderen, die warten mussten, bis der Abt dem Bruder Küchenmeister sein Zeichen gab.
Jakob grüßte den Abt, dann seinen Bruder. Sie erlaubten ihm, Platz zu nehmen, dann sprachen sie eine Weile über Herrieden, die Gesundheit der Mutter, die Schwestern und über die gute Arbeit, die in Nürnberg und den anderen Faktoreien der Familie geleistet wurde.
»Nun«, sagte Abt Wolfgang schließlich. »Wir sind zwar nicht wie Eichstätt oder Metten an der Donau von Karl dem Großen selbst gegründet, aber wir dürfen doch in aller Demut ein wenig stolz auf uns und unsere Arbeit sein.«
Jakob wusste längst, dass diese Worte nur eine Ablenkung sein sollten. Er nickte und vermied, Ulrich direkt anzusehen. Sie hätten sich mit ihren Blicken einfach nicht belügen können.
»Und manchmal treten eben Unwägbarkeiten ein, durch die auch Jahre guter Vorbereitung auf das Amt des Priesters oder Bischofs nichts sind gegen den Ratschluss des Allmächtigen …«
Jakob hielt es nicht länger aus. »Geht es um Georg?«
Abt Wolfgang und sein Bruder stutzten, dann schüttelten sie beide heftig den Kopf.
»Nein, Georg ist wohlauf, aber Markus in Rom –«
»Es geht um dich, mein Sohn«, unterbrach der Abt. »Für dich kommt unerwartet die Entscheidung, ob du nach neun Jahren bei uns weiterhin zu den Geweihten mit einem Zugang zu den Geheimnissen des Jenseitigen und Allerhöchsten gehören willst oder ob du es vorziehst, mit deinen leiblichen Brüdern –«
»Dann ist Markus gestorben!«
Der Abt bekreuzigte sich wortlos, und Ulrich deutete ein Kopfnicken an.
Zum ersten Mal seit seiner Ankunft sah Ulrich ihm direkt in die Augen. Es war, als würde der Älteste in ihm immer noch den kleinen Jungen sehen, bei dem bereits ein wenig Strenge für den nötigen Respekt sorgte. Jakob erkannte die Trauer in den Augen Ulrichs und auch Sorge um den Bestand ihrer Familie.
»Ja«, sagte Ulrich schließlich, »unser Bruder Markus ist in Rom gestorben. Am neunzehnten April – wenige Tage bevor einer der Medicis im Dom von Florenz ermordet wurde.«
Jakob hob die Brauen. Er hatte inzwischen ein sehr feines Gespür für falsche Töne ausgeprägt. Dennoch verstand er nicht, was der eine Tod mit dem anderen zu tun hatte.
»Ein tragischer Verlust für euch und eure Familie«, sagte Abt Wolfgang. »Für viele von uns war euer Bruder Markus Fürsprecher und die erste Anlaufstelle für die deutschen Rompilger – selbst für die Bischöfe, wenn sie, wie vorgeschrieben, alle fünf Jahre zur Ad-limina-Reise nach Rom kamen, um dort bei ihren Vorgesetzten Rechenschaft über den Zustand der Gläubigen in ihrem Bistum abzulegen.«
»Und über ihre Schulden und Einnahmen«, ergänzte Ulrich leise.
»Manch einem ist er dabei Helfer in höchster Not gewesen.«
»Ja, das war er«, bestätigte Ulrich. Er seufzte noch einmal tief auf, dann wandte er sich wieder an Jakob. »Jetzt gibt es nur noch dich, Georg und mich als Söhne unsres Vaters Jakob. Wir müssen uns sogleich um die Angelegenheiten kümmern, die Markus als der Gebildetste und Frömmste von uns allen hinterlassen hat.«
»Dann schick Georg nach Rom«, sagte Jakob. Er hatte die Anspielung sehr wohl verstanden und den Vorwurf darüber, dass er bisher ohne besonderen Lerneifer geblieben war. Schließlich hatte sich Markus bereits mit vierzehn Jahren an der Universität Leipzig immatrikuliert und dort seinen stolzen Titel »Baccalaureatus Magister« erworben. Er war Probst im Stift Sankt Johann in Freising und in der Alten Kapelle in Regensburg gewesen, ehe er im Vatikan zum Sekretär für sämtliche aus Deutschland eintreffenden Bittschriften und Gesuche aufgestiegen war.
»Ich möchte, dass du mit mir nach Rom gehst«, sagte Ulrich in die Stille hinein, »aber nicht in der Soutane …«
Jakob blickte den Älteren verständnislos an. »Ich bin kein Priester wie Markus«, sagte er. »Dazu fehlen mir noch einige Jahre.«
»Ich würde dir ein Schreiben an bestimmte Freunde im Vatikan und in der Gemeinde der deutschen Kirche in Rom mitgeben«, sagte Abt Wolfgang. »Ehe ihr abreist, wird zudem ein Schreiben des Bischofs unserer
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