Jakob der Reiche (German Edition)
den Gondeln oder vielleicht sogar von brennenden Segeln auf irgendeinem Frachtschiff im Hafen stammen konnte. Es musste mitten in der Stadt brennen. Jetzt schlugen bereits Flammen in den Nachthimmel. Schwarze Rauchwolken stiegen zu den Sternen hoch, Funkenfontänen prasselten wie flammende Springbrunnen nach allen Seiten. Dann hörte er die Glocken von einem Dutzend Kirchen.
Er ritt schneller und schneller auf die höllische Feuerlohe zu. Jetzt roch er bereits den Rauch und den Moder der Sümpfe rund um Venedig. Er schmeckte die salzige Luft der See und den scharfen Geruch verbrannter Gewürze. Im selben Augenblick wurde ihm klar, was dort am Canal Grande in Flammen aufging.
Noch nie zuvor war Jakob Fugger schneller geritten. So dicht wie möglich vor dem großen Feuer nahm er den erstbesten Gondoliere und fünf schnell am Ufer des inneren Hafens angeheuerte junge Männer. Sie schossen durch die kleineren Kanäle – bis auch hier andere Gondeln und Löschkähne die Zufahrten verstopften.
Jetzt kam ihm erneut zugute, dass er nie aufgehört hatte, neben Latein auch die Sprache der Welschen zu lernen. Er und die Männer im Boot sprangen einfach von Boot zu Boot, wie viele andere vor und nach ihnen, die einander Krüge mit Wasser zureichten, um es sich gegen die Hitze über die Köpfe zu gießen. Mädchen und Frauen warfen ihnen aus den oberen Fenstern nasse Tücher zu und klatschten Beifall für ihren Mut.
Während der Lärm und das Gedröhn der Glocken sowie die Schreie der Menschen und auch der Tiere in den Häusern nahezu unerträglich wurden, überlegte Jakob bereits, ob er dem Dogen zum Wiederaufbau nach dem Ende der Löscharbeiten oder zu einer Beteiligung der Stadt an einem neuen Handelshaus in Antwerpen raten sollte.
Der östliche Uferkai am Canal Grande neben der verkohlten hölzernen Rialto-Brücke wurde schnell zur Sammelstelle und zum Marktplatz der Neuigkeiten. Ohne dass irgendjemand dafür gesorgt hätte, bildete sich eine Art Brückenkopf zum Austausch von Nachrichten und Befehlen, Meldungen und Informationen zwischen dem brennenden Stadtteil und dem Dogenpalast an der Piazza San Marco.
Noch in der Nacht entdeckte Jakob Fugger aus seiner Gondel heraus Hans Kohler. Der Faktor der Fuggerschen Niederlassung in der Lagunenstadt trug seinen linken Arm bandagiert in einer Schlinge.
»Gebrochen«, rief er seinem Prinzipal zu, »beim Sturz von der Treppe im Fondaco.«
»Was ist mit den Büchern?«, rief Jakob ihm durch das Getöse des Feuers auf der anderen Kanalseite zu. »Und mit unseren Leuten?«
»Gerettet!«, schrie Kohler ebenso laut. »Keines verbrannt. Und bei den Männern nur ein paar Rippenbrüche, verschmorte Haare und Brandwunden.«
»Ist noch jemand dort drin?«
»Nein«, antwortete Kohler. »Die meisten waren bereits zu Hause, als es begann. Und nur eine Handvoll Schreiber befand sich bis eben noch am Hafen, um ein Schiff mit einer Ladung Stoffe und Pfeffer aus Alexandria zu überprüfen.«
Jakob gab den jungen Männern in seiner Gondel ein Zeichen. Gemeinsam fingen sie Hans Kohler auf und ließen ihn nicht gerade sanft auf die gewölbten Planken der Gondel gleiten.
»Was ist mit den Waren in unserer Kammer?«, wollte Jakob wissen. Kohler verzog sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Aber auch das war für Jakob Antwort genug.
»Ich will von jedem einzelnen unserer Leute wissen, wo er wohnt und wie es ihm geht. Jeder, der gehen, in eine Gondel steigen oder getragen werden kann, soll in den nächsten Tagen in den Palazzo Cornaro kommen. Wir müssen feststellen, was wir verloren oder gewonnen, noch nicht geliefert oder noch nicht bekommen haben. Vergesst alles, was dort drüben verbrennt. Jetzt kommt die Zeit der Aasgeier, der Diebe und Betrüger, die selbst aus dem kleinsten Schaden noch einen riesigen Verlust für sich selbst beschwören.«
Jakob stand noch immer aufrecht neben dem abwartenden Gondoliere. Die Hitze der Flammen aus dem Inneren des Fondaco dei Tedeschi brannte auch aus großer Entfernung auf der Haut. Er hatte plötzlich den unbändigen Wunsch nach einem Bad, sauberen Tüchern und einem Becher mit heißem gewürztem Wein.
Fünf Tage lang brannten die fünf Dutzend großen Kammern und die mit Waren aller Art vollgestopften Lagerräume im Fondaco dei Tedeschi. Dichter Rauch hüllte bei Tag und Nacht den gewaltigen Palazzo des deutschen Handels in Venedig ein, obwohl das Löschwasser aus dem Canal Grande bis an seine Grundmauern an der Rialto-Brücke reichte.
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